Die Göttliche Liturgie - Beständigkeit als Leben aus der Fülle des Heiligen Geistes

 

 

Das Gebet, vor allem aber die Feier der Gottesdienste nimmt im Leben der orthodoxen Kirche den zentralen Platz ein. Dies gilt nochmals in herausgehobenem Maße für die Feier der Heiligen Liturgie, zu der alle übrigen Gottesdienste gleichsam als Vorstufen hinaufführen. Alles geistliche Leben in der Orthodoxie hat deshalb seinen Ursprung in der Feier der Göttlichen Liturgie. Obwohl zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert alle orthodoxen Kirchen den Gottesdienst der Kirche von Konstantinopel annahmen, also heute den byzantinischen Gottesdienstordnungen folgen, wie sie sich an der Großen Kirche der östlichen Christenheit, der Ἁγία Σοφία (Agia Sophia), der Kathedrale der Göttlichen Weisheit, herausgebildet haben, bedeutet diese sichtbare Einheit keinesfalls eine simple Einförmigkeit. Jedes orthodoxe Volk hat im Laufe seiner Geschichte - die immer auch eine je eigene Geschichte des orthodoxen geistlichen Lebens gewesen ist - seine ganz spezifische Weise entwickelt, seine besondere Liebe zu Christus in der je eigenen Art, die gemeinsame orthodoxe Liturgie zu zelebrieren auszudrücken. Orthodoxes kirchliches Leben bedeutet geistliches Leben, in der sich das gemeinsame liturgische Gut im Lichte der Eigenart einzelnen orthodoxen Völker wiederspiegelt. Nur in sofern sind die orthodoxen Ortskirchen auch Nationalkirchen, also Kirchen, die der universalen orthodoxen Glaubenserfahrung auf eine, den Menschen vor Ort angemessene Weise spirituellen Ausdruck verleihen.

 

Wenn es auch keine einheitliche Norm dafür gibt, wie jedes Detail der Göttlichen Liturgie zu vollziehen ist, so gibt es doch eine gemeinsame orthodoxe  Ordnung, die dem kirchlichen Geist, dem Zerkovnost´ als integralem Teil der orthodoxen Tradition entspringt. So gilt es in der orthodoxen Kirche als allgemein gesicherte und anerkannte Tatsache, daß eine Norm, die von allen orthodoxen Kirchen rezipiert ist, der demnach das Pleroma der Kirche das Siegel ihrer Zustimmung aufgedrückt hat, volle Verbindlichkeit besitzt. Eine solche Zustimmung gibt im besonderen Maße es für die bestehende orthodoxe Gottesdienstordnung, die den apostolischen Ursprung treu bewahrt, aber auch die Glaubenserfahrung der folgenden Generationen als dem Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche Christi Rechnung getragen hat. Insofern ist es in der gesamten Orthodoxie gemeinsame Überzeugung, dass keine einzelne orthodoxe Kirche die Gottesdienstordnung mutwillig verändern darf, weil sie damit sowohl die Einheit aller orthodoxen Kirchen als auch das orthodoxe Glaubensgut an sich damit in ernste Gefahr brächte.

 

Weil die Liturgie nicht einfach eine historisch gewachsene Größe im Leben der Kirche, sondern apostolisch gegründete Überlieferung, also einen integralen Bestandteil der Heiligen Tradition darstellt, warnte Seine Heiligkeit Patriarch den römischen Papst Paul VI. vor einer vorschnellen Liturgiereform. Denn jede wesentliche Veränderung in der Heiligen Liturgie kommt an der Frage nach dem Verbindlichkeitscharakter der christlichen Offenbarung und Fülle der kirchlichen Tradition nicht vorbei. Die Heilige Liturgie ist deshalb nicht etwas, über das die Kirche in freier Anpassung verfügen darf, will sie nicht leichtfertig elementare Teile der Glaubensüberlieferung damit in Frage stellen. Nicht umsonst war die protestantische Reformation zugleich mit einer massiven Veränderung und theologischen Umdeutung des Gottesdienstes verbunden. Nach orthodoxem Verständnis erhebt die Feier der Heiligen Liturgie, weil sie das unveränderbare apostolische Glaubensgut in einer unverwechselbareren Feier des Glaubensmysterions feiert, in allen alten Kirchen (orthodoxe Kirche, altorientalische Kirchen und bis zum Zweiten Vatikanum auch in der römischen Kirche) den Anspruch auf Verbindlichkeit für das geistliche Leben in der Kirche. Nach orthodoxem Verständnis ist diese Verbindlichkeit jedoch nicht starr, wie die Fundamentalisten meinen, noch nur zeitgebunden und damit jederzeit beliebig veränderbar, wie die Modernisten meinen, sondern die Verbindlichkeit ist vielmehr pneumatisch, das heißt offen für eine je neue Vertiefung in der jeweiligen Zeit und Kultur.

 

Diese Verbindlichkeit der liturgischen Ordnung bedeutet jedoch kein Streben nach starrer Einheitlichkeit, wie sie die römische Liturgie nach dem Konzil von Trient angenommen hatte. Denn der gemeinsame apostolische Kern der Göttlichen Liturgie wird gerade durch das Wirken des Heiligen Geistes an den zur Liturgiefeier um den Bischof oder den von ihm beauftragten Priester versammelten Gläubigen, der konkreten Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche Jesu Christi vor Ort ausgelegt und verdeutlicht. Deshalb wird die Göttliche Liturgie zu jeder Zeit zugleich auch auf die den Menschen, die in dieser Zeit leben, gemäße Art zelebriert. Das wie wir feiern verändert sich, jedoch nicht das Wesen der Feier selbst. 

 

Insofern kann es nach orthodoxem Verständnis auch keine "Liturgie-Reform", wie sie die römische Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil - durchaus mit vielen geistlichen Kollateralschäden - durchgeführt hat, sondern immer nur ein geistliches Leben  in der Zeit aus dem Pleroma, der Fülle des Wirkens des Heiligen Geistes an der Kirche geben. Diese Fülle des Heiligen Geistes; Sein Wirken, ist es, das die Feier des seit vielen Jahrhunderten gleichen liturgischen Gebetsformulars und seiner gottesdienstlichen Vollzüge zugleich immer wieder ganz "neu" in dem Sinne werden läßt, dass Christus mit Seinen Engeln und Heiligen inmitten der konkreten Gemeinde, der Versammlung (ekklesia) der Gläubigen, anwesend ist und durch die Feier der Heiligen Eucharistie dort Theosis, die vergöttlichende Gegenwart Gottes geschieht.

 

Insofern fragt die Orthodoxie im Gegensatz zu den abendländischen Kirchen nicht danach, was "zeitgemäß", sondern was Gottes-gemäß ist, also was, aus dem Wirken des Heiligen Geistes von der Fülle (pleroma) der gesamten Kirche erkannt, dazu dient, liturgisch der sakramentalen Gegenwart Christi inmitten der Ekklesia rechtgläubig zu dienen. So entfaltet sich der orthodoxe Gottesdienst als ein Gegenwärtig-werden der himmlischen Wirklichkeit inmitten der versammelten Gemeinde. Die Göttliche Liturgie und die sie umrahmenden Gottesdienste des orthodoxen Stundengebetes entfalten anbetend die genuin kirchliche Erfahrung, die sich zutiefst von den aus der protestantischen Reformation hervorgegangenen Glaubensgemeinschaften unterscheidet, eines liturgischen Einwerden der oberen himmlischen Welt mit der streitenden Kirche hier auf Erden.  "Wir haben das wahre Licht gesehen, wahren Glauben haben wir gefunden, die Allheilige Dreieinheit beten wir an...", so bekennt dieses Gegenwärtig-werden des Mysterions während der Feier der Göttlichen Liturgie am Ende der Feier die versammelte orthodoxe Gemeinde.

 

Insofern beinhaltet die Feier der Göttlichen Liturgie genau so wenig das Moment der Beliebigkeit, wie es das rechtgläubige Bekenntnis des christlichen Glaubens, das wir Orthodoxen mit den Worten des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis vornehmen, darstellt. Der Heilige Basilius der Große bezeichnet die ungeschriebene Tradition, zu der auch die Heilige Liturgie gehört, als "Dogma", während er die geschriebene Tradition, die uns in der Heiligen Schrift und in den Werken der Heiligen Väter überliefert als "Kerygma" bezeichnet. Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Ost und West bezüglich des Begriff "Dogma". Während die abendländische Theologie den Begriff scholastisch begreift, also als eine Definition des Glaubensinhaltes, als einen Lehrsatz, ist er für die Orthodoxen vor allem eine geist-gewirkte Umschreibung des rechten Glaubens; ein Gebet, das seinen Sitz im geistlichen Leben der Kirche, in der Feier der Heiligen Liturgie hat. Für die orthodoxe Kirche gehören die  "horoi" des Dogmas, wie der griechische Theologe Christos Yannaras ausführt, nicht zu philosophisch-theoretischen Prinzipien, sondern sie umschreiben die Grenzen (horoi) der Erfahrung der Kirche, welche die gelebte Wahrheit von der Verfälschung durch Häresie trennen. Deshalb kennt die orthodoxe Theologie auch nicht der Vorstellung einer Dogmenentwicklung, sondern das Dogma ist genauso wie das Kerygma Bestandteil der apostolisch übermittelten Glaubenswahrheit. Nach den Worten des heiligen Basilius kommt es, dem gebeteten Dogma zu, das Kerygma auszulegen und zu vertiefen. Dies ist weniger eine Frage der Worte und Begriffe, wie die westlich-scholastische Theologie meint, sondern der Vollzug des Glaubens durch die Feier der Göttlichen Liturgie und der übrigen Mysterien (Sakramente). Das Leben der Kirche ist nicht in erster Linie die Lehre (Predigt), sondern vor allem Verkündigung durch das Gebet. Deshalb ist auch das Verständnis von Mission in den Kirchen des Westens und der Orthodoxie ganz unterschiedlich. Verkündigung geschieht nach orthodoxem Verständnis vor allem und in erster Linie in der Feier der Gottesdienste. Hier wird das Kerygma betend entfaltet, hier vollzieht sich die gesamte Fülle des Heiles in der Abfolge der Feste des Kirchenjahres. Insofern betrachtet die Orthodoxie die Feier der Göttlichen Liturgie als den eigentlichen Herzschlag der Kirche, der das gesamte Leben der Kirche und von dort aus auch den Alltag der orthodoxen Christen durchdringt. So sind das Kerygma und seine Vergegenwärtigung im Dogma die beiden Flügel der Heiligen Apostolischen Tradition. Mit dem heiligen Basilius geht es bei der Feier der  Liturgie nicht einfach um die Frage eines "zeitgemäßen" Gottesdienstes, um Fragen des Zeitgeschmacks bei der Durchführung des Ritus und einer dem modernen Empfinden angepassten Zelebrationsweise, vielmehr geht es beim Vollzug der Göttlichen Liturgie um gebetetes und gefeiertes Dogma.

 

 

Die Göttliche Liturgie als Himmel auf Erden

von S.E. Bischof Kallistos von Diokleia

 

Ein fortwährendes Wunder

 

"Die Eucharistie ist ein fortwährendes Wunder", bestätigt jemand, der im 20. Jahrhundert ein eucharistischer Priester par excellence war, der hl. Johannes von Kronstadt. Der Zweck unseres Kongresses ist genau, unsere Augen zu öffnen, damit wir mit Frische und Intensität die Tiefe und die revolutionären Konsequenzen dieses fortwährenden Wunders zu schätzen wissen. In den Worten Platons ist "der Anfang der Philosophie ein Gefühl des Staunens". Während dieser Tage des Nachdenkens und des Feierns, die wir zusammen verbringen werden, möge Christus, der Hohepriester, unser Gefühl des Staunens verstärken vor dem Wunder der Göttlichen Liturgie.

 

Nicht "Ich" sondern "Wir"

 

Wir wollen beginnen, indem wir uns die wahre Bedeutung des Wortes "Liturgie" ins Gedächtnis rufen. Das griechische Wort "leitourgia" wird manchmal erklärt als "ergon tou laou" - Werk des Volkes. Ich habe den Verdacht, dass das zweifelhafte Etymologie ist, es ist aber gute Theologie. Im klassischen Griechisch ist eine "Liturgie" eine gemeinsame Aktion, etwas, das von vielen Personen zusammen unternommen wird, etwas, das diese Personen nur solidarisch miteinander tun können, nicht isoliert. Wenn also die Eucharistie "Liturgie" genannt wird, bedeutet das, dass sie immer gemeinschaftlichen Charakter hat. In der Göttlichen Liturgie gibt es nur aktive Teilnehmer, keine passiven Zuschauer.

 

Die Göttliche Liturgie als gemeinsame Handlung drückt auf diese Weise den wahren Charakter unseres Menschseins aus. Im Griechischen heißt das Wort für Person "prosopon", was wörtlich "Gesicht" oder "Gesichtsausdruck" bedeutet. Ich bin nur Person, wenn mein Gesicht sich anderen Personen zuwendet, wenn ich in ihre Augen sehe und sie in meine schauen lasse. Mit anderen Worten, es gibt keine wahre Person, wenn nicht wenigstens zwei Personen sich im Dialog befinden. Ich brauche dich, um ich selbst zu sein. Wenn das also die wahre Bedeutung des Menschseins ist, drücken wir uns als Personen in Beziehungen miteinander aus, wenn wir die Göttliche Liturgie feiern. Von allen Dingen, die wir Menschen tun, ist die Göttliche Liturgie das im wahrsten Sinn persönliche.

 

Der interpersonale Geist der Göttlichen Liturgie wird offensichtlich durch die Tatsache, dass während des gesamten Gottesdienstes, außer bei sehr wenigen Gelegenheiten, die Gebete immer im Plural gesprochen werden und nicht im Singular. Das benutzte Pronomen ist "wir", nicht "ich". Hier folgt die Liturgie getreu dem Geist des Vaterunsers, das der Heiland uns als Modell gab für alle unsere Zwiesprachen mit Gott. Im Vaterunser sagen wir "wir" einmal, "unser" dreimal, "uns" fünfmal, aber niemals sagen wir "mich", "mein" oder "ich". Sie werden sich bestimmt an die Erzählung erinnern, die Fedor Dostoevskij in sein Meisterwerk "Die Brüder Karamazov" einfließen ließ. Es war einmal eine alte Frau, die sich nach ihrem Tod zu ihrer großen Überraschung in einem Feuersee wiederfand. Als sie ihren Schutzengel am Ufer stehen sah, rief sie ihm zu, dass es sich bestimmt um ein Missverständnis handeln müsse. Der Engel versuchte, sich an gute Taten aus ihrem früheren Leben zu erinnern, aber kam nur auf eine einzige: Als sie einmal im Garten arbeitete hatte sie einem Bettler eine Zwiebel gegeben. So nahm er also die Zwiebel, reichte der alten Frau das andere Ende und zog sie langsam aus dem Feuersee heraus. Aber sie war dort nicht die einzige, und als die anderen sahen, was geschah, drängten sie sich an sie und hielten sich an ihr fest in der Hoffnung, ebenfalls herausgezogen zu werden. Das gefiel der alten Frau ganz und gar nicht. "Lasst mich los", rief sie, "ich werde hier herausgezogen, nicht ihr. Es ist nicht eure Zwiebel, es ist meine". In dem Moment, in dem sie "meine" rief, brach die Zwiebel entzwei und die alte Frau fiel in den Feuersee zurück, und dort ist sie noch heute, wie man mir glaubhaft versicherte.

 

So erzählt Dostoevskij die Geschichte; wir könnten hinzufügen: Wenn die alte Frau nur nicht gesagt hätte "es ist meine Zwiebel" sondern "es ist unsere Zwiebel", wäre dann die Zwiebel nicht stark genug gewesen, alle aus dem Feuersee zu ziehen? Aber indem sie nicht sagte "es ist unsere" sondern "es ist meine", verleugnete sie ihre wahre Natur als Mensch nach dem Bilde Gottes, der Heiligen Dreifaltigkeit. Denn die Trinität ist nichts anderes als das Mysterium der wechselseitigen Liebe, und wenn wir diese wechselseitige Liebe verwerfen, verleugnen wir auch unsere wahre Natur als Menschen nach dem trinitarischen Bild. Überdies war die alte Frau, indem sie sagte "es ist meine Zwiebel", zutiefst unliturgisch. Die Göttliche Liturgie als gemeinsame Handlung ist in höchstem Maße der Ort, an dem wir danach streben, miteinander an der unerschaffenen noetischen Zwiebel teilzuhaben.

 

Die Momente der Liturgie, in denen das Wort "ich" verwendet wird und nicht "wir", stellen sich bei näherer Prüfung als Ausnahmen heraus, die eher scheinbar als wirklich sind. Z.B. benutzt der Priester im Gebet während des Cherubim-Hymnus direkt vor dem großen Einzug mehrmals das Pronomen "ich". Dieses Gebet ist der Liturgie in einer Zeit hinzugefügt worden, als die Priestergebete nicht länger laut in Hörweite des Volkes gesprochen wurden sondern "heimlich" und leise.

 

Dieses Gebet ist also Teil der persönlichen Gebete des Priesters, und verständlicherweise spricht er von sich selbst in der 1. Person Singular.

 

Ebenso sagen wir beim Glaubensbekenntnis "ich glaube". In seiner ursprünglichen Form, wie sie von den Ökumenischen Konzilien beschlossen wurde, begann das Glaubensbekenntnis mit "wir glauben". In der Folgezeit wurde das Glaubensbekenntnis als Erklärung des Glaubens bei der Taufe benutzt und der Taufkandidat sprach im Singular "ich glaube". Als das Glaubensbekenntnis vom Taufritus in die Eucharistie übernommen wurde, wurde der Ausdruck "ich glaube" beibehalten. Wäre es nicht gut, wenn wir Orthodoxen zur älteren Form des "wir glauben" zurückkehrten, wie es in vielen überarbeiteten Formularen der Eucharistiefeier im christlichen Westen getan wurde?

 

Ebenso wird in der slawischen Tradition direkt vor der Kommunion der Gläubigen das Gebet gesprochen "Ich glaube, Herr, und ich bekenne, dass du in Wahrheit bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes ... " Aber dieses Gebet und die beiden folgenden gehören eigentlich nicht zur öffentlichen Feier der Liturgie, sondern zum Dienst der Vorbereitung auf die Heilige Kommunion, der von jedem Gläubigen privat gesprochen wird, und so wird hier natürlich das Wort "ich" gebraucht.

 

 

Wir wollen nun weiter den gemeinschaftlichen Charakter der Eucharistie beleuchten, der sich im Gebrauch des Wortes "wir" widerspiegelt:

 

1.: Ganz zu Beginn der Eucharistiefeier, noch bevor der Zelebrant den Heiligen Raum betritt und seine Gewänder anlegt, spricht er die ersten Vorbereitungsgebete, wendet sich dann nach Westen und verbeugt sich vor dem Volk und das Volk erwidert seine Verbeugung. In meiner eigenen Gemeinde in Oxford ist zu diesem Zeitpunkt noch niemand eingetroffen und so erwidern nur die Engel meine Verbeugung.

 

Dann, direkt vor dem Großen Einzug, wendet sich der Zelebrant noch einmal nach Westen und verbeugt sich, in der Königstür stehend, vor dem Volk und das Volk antwortet, indem es sich vor ihm verbeugt.

 

Noch ein drittes Mal - direkt vor der Priesterkommunion - verbeugt sich der Zelebrant vor dem Volk und das Volk erwidert ebenfalls die Verbeugung. Was bedeuten diese dreimaligen gegenseitigen Verbeugungen? Sind sie lediglich ein Austausch von Höflichkeiten? Nein, es ist weit mehr als das. Wenn der Zelebrant sich vor dem Volk verbeugt, sagt er laut oder im Herzen "vergebt mir", und wenn das Volk die Verbeugung erwidert sagt es ebenfalls laut oder im Herzen "vergib uns", und beide sagen innerlich oder laut "Gott möge vergeben".

 

Dieses dreifache gegenseitige Vergeben ist grundlegend für unser Verständnis der Göttlichen Liturgie. Ohne gegenseitiges Vergeben kann es im wahren und tieferen Sinn keine vollständige Eucharistiefeier geben. Wenn wir die Reise in die Liturgie nicht in einem Geist der Vergebung beginnen, ist ihr gemeinschaftlicher Charakter, ihre Sobornost', schmerzlich beeinträchtigt, denn dann hört der Gottesdienst auf, ein Ausdruck der Liebe zwischen Personen zu sein. Der Priester braucht die Vergebung des Volkes und das Volk braucht seine; beide können nicht ohne einander handeln.

 

Das Wesen der Eucharistie als Akt gegenseitigen Vergebens wird in schöner Weise ausgedrückt durch den großen Propheten des 18. Jahrhunderts, William Blake:

 

Bis in alle Ewigkeit

Vergebe ich dir, vergibst du mir,

wie unser teurer Erlöser sagte:

dies ist der Leib, dies das Brot.

 

 

2.: Die Wechselseitigkeit der Eucharistiefeier wird noch ausdrücklicher angezeigt unmittelbar vor dem Glaubensbekenntnis, wenn der Diakon ruft: "Lasst uns einander lieben, damit wir eines Sinnes bekennen ... ", und das Volk antwortet: "Vater, Sohn und Heiliger Geist, die wesensgleiche und unteilbare Dreiheit". Ohne Zusammengehörigkeit in gegenseitiger Liebe kann es kein wahres Glaubensbekenntnis zu Gott als Trinität geben und keine wahre Feier der Göttlichen Liturgie.

 

"Der gemeinschaftliche Geist der Eucharistie ist ebenso sichtbar im Dialog unmittelbar vor der Anaphora: "Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus ... Erheben wir die Herzen ... Lasst uns Dank sagen ... würdig ist es und gerecht". In den Worten des hl. Johannes Chrysostomos: "Wenn wir die eigentliche Zelebration der furchtbaren Mysterien beginnen, betet der Priester für das Volk und das Volk betet für den Priester, denn die Worte 'und deinem Geiste' bedeuten genau dies. Alles in der eucharistischen Danksagung wird gemeinschaftlich geteilt. Denn der Priester bringt die Danksagung nicht allein dar, sondern das ganze Volk tut es mit ihm zusammen. Denn nachdem er ihren Gruß erwidert hat, geben sie ihre Zustimmung und antworten: 'Würdig ist es und gerecht', und dann erst beginnt der Priester mit der eucharistischen Danksagung."

 

Wenn man den Gedankengang von Johannes Chrysostomos weiterentwickelt, könnte man sagen, dass der Zelebrant sogar die Laien um Erlaubnis bittet, bevor er die Anaphora vorträgt, und bevor diese Erlaubnis nicht gegeben wird - "würdig ist es und gerecht" - kann er nicht weiterzelebrieren. Das Gebet der Darbringung ist das des Priesters wie auch des Volkes und darum ist die aktive Zustimmung des Volkes unverzichtbar.

 

Wenn alles, was bis hierher über die gemeinschaftliche Natur der Liturgie gesagt wurde, stimmt, stellt sich die Frage: Wie könne wir Orthodoxe heute die aktive Teilnahme der Laien an der Eucharistiefeier steigern? Häufige Kommunion ist offensichtlich ein Weg, unser Gefühl von dynamischer Einbeziehung zu verstärken. Wäre es nicht auch hilfreich, den Gemeindegesang viel mehr als bisher wieder einzuführen - jedenfalls an bestimmten Stellen des Gottesdienstes? Sollte nicht der Friedenskuss vor dem Glaubensbekenntnis nicht nur unter den Zelebranten, sondern unter allen Gemeindemitgliedern ausgetauscht werden, wie es in der Alten Kirche Brauch war? Sollte nicht die ganze Gemeinde das dreifache Amen am Ende der Epiklese wiederholen? Ich bin sicher, dass meinen heute hier anwesenden Zuhörern viele weitere Möglichkeiten einfallen.

 

Ehre sei Gott in den Höhen und auf Erden Friede

 

Wir wollen tiefer in den eigentlichen Sinn der Göttlichen Liturgie eindringen und uns auf zwei Sätze gleich am Anfang des Gottesdienstes direkt vor dem Eingangssegen konzentrieren. Das wird uns zu einem rechten Verständnis alles Folgenden führen.

 

Wenn die Vorbereitung der Gaben abgeschlossen ist, steht der Priester vor dem Altar und sagt mit erhobenen Händen: "Ehre sei Gott in den Höhen und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." Diese Worte wurden von den Engeln bei der Geburt des Heilands gesprochen und erinnern uns daran, dass jede Feier der Liturgie nichts anderes ist als Weihnachten (ebenso ist jede Feier der Liturgie Golgatha und Pascha). Noch genauer weisen diese Worte auf die zwei Ebenen hin, auf denen die Göttliche Liturgie gefeiert wird: Im Himmel "in den Höhen" und hier unten "auf Erden". Wir wollen diese beiden Ebenen vergleichen:

 

Liturgie auf Erden Himmlische Liturgie
- an bestimmten Orten
- als Ergebnis in der Zeit
- durch Worte und Gesten
- wörtlich
Klerus und Volk bringen Brot und Wein dar
- überall
- ewig
- stil
- ontologisch
- Christus bringt sich selbst dar

 

Was dann bei der Epiklese in der Anaphora geschieht, ist, dass diese beiden Ebenen der Liturgie sich vereinigen: unser Opfer wird angenommen in das Selbstopfer Christi und mit ihm gleichgesetzt; Brot und Wein werden auf diese Weise Leib und Blut Christi. Ebenso wahr ist es zu sagen, dass sowohl wir in den Himmel aufsteigen als auch der Himmel zur Erde herabkommt, denn die Begriffe "oben" und "unten" sind metaphorisch und in ihrer Bedeutung gleich, egal welche Metapher gebraucht wird.

 

Die beste und tiefsinnigste Beschreibung der Göttlichen Liturgie ist deshalb, sie als "Himmel auf Erden" zu beschreiben. In den Worten des hl. Germanos von Konstantinopel am Beginn seines Kommentars zur Göttlichen Liturgie: "Die Kirche ist ein irdischer Himmel, in dem der himmlische Gott wohnt und (sich) bewegt." Als die russischen Botschafter Vladimir von dem Gottesdienst berichteten, den sie in der Hagia Sophia besucht hatten, sagten sie: "Wir wussten nicht, ob wir im Himmel oder auf der Erde waren."

 

Die liturgische Funktion der Heiligen Ikonen besteht genau darin, in der Kirche ein Gefühl von Himmel auf Erden zu schaffen. Durch die Ikonen werden die Glieder der himmlischen Kirche zu aktiven Teilnehmern an unserem Gottesdienst auf Erden, während die Wände des Kirchengebäudes sich zur Ewigkeit hin öffnen. Um einen Ausdruck zu benutzen, der im "Leben des Heiligen Stephan des Jüngeren" vorkommt: "Die Ikone ist eine Tür", ein Mittel zum Eintritt in das Himmlische Königreich, in das kommende Äon.

 

Die Einheit von himmlischer und irdischer Liturgie ist bildlich dargestellt in einer Szene, die manchmal als Fresco in der Kuppel von byzantinischen Kirchen zu sehen ist. Was wir sehen ist eindeutig eine Darstellung des Großen Einzugs: Gestalten in den Gewändern von Diakon und Priester tragen die Gaben, die mit Tüchern bedeckt sind, während andere, als Subdiakone gekleidete Gestalten Prozessionsleuchter und liturgische Fächer halten; am Eingang zum Heiligen Raum erwartet sie der bischöfliche Zelebrant. Aber wenn wir genauer hinschauen sehen wir, dass die Gestalten, die wie Subdiakone, Diakone und Priester gekleidet sind, alle Engel sind und der bischöfliche Zelebrant Christus selbst ist. Wie wir auch beim Großen Einzug in der Liturgie der Vorgeweihten Gaben versichern: "Jetzt dienen die himmlischen Mächte unsichtbar mit uns."

 

Bei jeder Feier der Göttlichen Liturgie wollen wir daher in unseren Herzen sagen: Dies ist der Himmel auf Erden; wir, die sichtbare Gemeinde, sind einbezogen in eine Handlung, die viel größer ist als wir allein; wir sind auf mystische Weise beim Gottesdienst der Kirche im Himmel anwesend. Mit uns betet die gesamte Kirche: Heilige, Engel, Gottesgebärerin, Christus selbst.

 

Der unsichtbare Zelebrant

 

Nachdem der zelebrierende Priester die Worte gesprochen hat, über die wir hier schon nachgedacht haben "Ehre sei Gott in den Höhen ...", sagt der Diakon zum Priester: "Es ist Zeit für den Herrn zu handeln". Dies ist ein weiterer Schlüsselsatz, der uns hilft, die ganze Bedeutung der Göttlichen Liturgie zu erfassen. Die Worte, die hier im Griechischen gebraucht werden, können allerdings auf zweierlei Weise übersetzt werden. Sie können wiedergegeben werden, wie ich sie jetzt gerade übersetzt habe: "Es ist Zeit für den Herrn zu handeln", aber viele Übersetzungen der Liturgie geben das Griechische genau gegenteilig wieder: "Die Zeit ist gekommen, den Dienst am Herrn zu beginnen" oder etwas sinngemäßes. Der Satz ist ein Zitat aus Psalm 118 (119), Vers 126, und die meisten Bibelübersetzungen geben die erste Version wieder und nicht die zweite. Ich persönlich ziehe die erste Möglichkeit vor; sie liefert eine tiefere und stärkere Bedeutung.

 

"Es ist Zeit für den Herrn zu handeln". Hieraus lernen wir, dass die Göttliche Liturgie nicht nur aus Worten besteht, sondern eine Handlung ist, und zwar nicht so sehr unsere Handlung, sondern die des Herrn. Der wahre Zelebrant bei jeder Eucharistie ist immer Christus, der unsichtbare Priester; wir, der Klerus und das Volk, sind nicht mehr als seine Konzelebranten. Diese Wahrheit wird nachdrücklich betont im Gebet, das der Zelebrant während des Cherubim-Hymnus spricht: "Du bist der Darbringer und der Dargebrachte." Christus ist sowohl der Opfernde als auch die Gabe, sowohl Priester als auch Opfer.

 

 

Die unmittelbare Anwesenheit Christi in der Eucharistie kommt auch zum Ausdruck im Gruß, den die Zelebranten beim Friedenskuss austauschen: "Christus ist in unserer Mitte." Es ist diese Auffassung von Christus als dem wahren Zelebranten bei jeder Liturgie, die uns sowohl die Bedeutung der eucharistischen Weihe als auch den Opfercharakter der eucharistischen Handlung verstehen lässt.

 

Lasst uns also bei jeder Feier der Göttlichen Liturgie zu uns selbst sagen: Mit den Augen meines Herzens sehe ich unseren Herrn Jesus Christus selbst vor dem Altar stehen; es ist Seine Hand, die Brot und Wein segnet; es ist Seine Hand, die ausgestreckt ist, um mir die Heilige Kommunion zu geben.

 

 

Die Eucharistie als Pfingsten

 

Bis jetzt haben wir uns hauptsächlich über den christologischen Charakter der Göttlichen Liturgie Gedanken gemacht. Nun ist es an der Zeit, dass wir auch die pneumatologische Dimension des Gottesdienstes beleuchten. In unserer Sakramentaltheologie, wie in jedem Teil christlicher Lehre, müssen wir "Christomonismus" vermeiden. "Denk niemals an den Sohn ohne den Heiligen Geist", sagte der hl. Gregor von Nyssa. Der hl. Irenäus von Lyon spricht vom Sohn und vom Heiligen Geist als den zwei Händen Gottes, des Vaters, und der Vater benutzt stets seine beiden Hände gleichzeitig. Das christliche Leben wird in gleicher Weise gelebt unter dem Zeichen des Kreuzes und dem Sigel von Pfingsten; es ist ein Teilhaben sowohl am blutigen und glorreichen Pascha Christi als auch an den Feuerzungen am 50. Tag.

 

Dies gilt ebenso für die Eucharistie. Sie ist das Sakrament des Obergemachs - des Obergemachs des letzten Abendmahls, aber genauso des Obergemachs von Pfingsten. Wie wir bei der Eucharistie bekennen, gibt es zwei Arten von "wirklicher Anwesenheit": eine wirkliche Präsenz von Leib und Blut Christi, aber ebenso eine reale Präsenz des Heiligen Geistes, eine Anwesenheit, die anders ist - denn der Heilige Geist wurde nicht Mensch und ist daher nicht Fleisch und Blut - aber deswegen nicht weniger unmittelbar. So gibt es also auch in der Eucharistie zwei Formen der Kommunion: Kommunion in Christus, aber auch Kommunion im Heiligen Geist (vgl. 2. Kor 13, 13).

 

Es gibt vier Momente in der Göttlichen Liturgie, wo die Anwesenheit und Wirkung des Heiligen Geistes besonders zum Ausdruck kommen:

 

1.: Nach dem Großen Einzug sagt der Diakon zum Priester, indem er die Worte des Erzengels bei der Verkündigung (Lukas 1, 35) benutzt: "Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten dich überschatten. " Der Priester antwortet: "Der Heilige Geist Selbst wird mit uns die Liturgie vollziehen alle Tage unseres Lebens." Das ist eine eindrucksvolle Vorstellung, die wir uns besser ständig ins Gedächtnis rufen: In der Göttlichen Liturgie ist der Heilige Geist unser Sylleitourgos, unser Mit-Priester, unser Konzelebrant

 

2.: Der Höhepunkt der Mitwirkung des Heiligen Geistes an der Göttlichen Liturgie ist natürlich die Epiklese. Sie ist ein trinitarisches Gebet, in dem wir den Vater bitten, den Heiligen Geist auf Brot und Wein herabzusenden, um sie zu Leib und Blut Christi zu machen. Also ist derjenige, der die Gaben weiht, nicht der Priester, noch Priester und Volk zusammen, sondern der Heilige Geist. Der hl. Johannes von Damaskus erklärt die Natur der eucharistischen Weihe, indem er nur dies sagt: "Wenn du fragst: wie? musst du dich mit der Antwort zufrieden geben: durch den Heiligen Geist." Es ist die besondere Funktion des Heiligen Geistes, die Gegenwart Christi zu einer lebendigen und fortwährenden Realität in der Kirche zu machen (vgl.: Johannes 16, 13-14). Dies tut der Heilige Geist während des ganzen christlichen Lebens, aber besonders bei der Weihe in der Eucharistie.

 

3.: Die Anwesenheit des Parakleten wird ebenso direkt vor der Priesterkommunion angezeigt. Indem er ein Stück des geweihten Brotes in den Kelch legt, spricht der Zelebrant: "Die Fülle des Heiligen Geistes". Dann gießt der Diakon heißes Wasser in den Kelch und verweist wiederum auf die dritte Person der Trinität: "Glut des Glaubens, voll des Heiligen Geistes. "

 

4.: Zum Schluss, in der Danksagung nach der Kommunion singt das Volk: "Wir haben das wahre Licht geschaut, den himmlischen Geist empfangen." Indem wir Christus empfangen, empfangen wir gleichzeitig den Heiligen Geist. Dieser Punkt wird ganz deutlich in einer Auseinandersetzung, die sich in Konstantinopel um 1440 abspielte, kurz vor dem Fall des Byzantinischen Reiches. Einige Priester fügten der gebräuchlichen Kommunionformel: "Anteil gegeben wird dem Knecht (der Magd) Gottes N. am kostbaren und allheiligen Leib und Blut ..." noch die Worte hinzu: "Empfange den Heiligen Geist". Das führte zu Streitigkeiten, und der hl. Markus von Ephesus wurde gebeten zu vermitteln. Er antwortete, dass in der Tat der Zusatz theologisch korrekt sei, denn indem wir Christus empfangen empfangen wir auch den Heiligen Geist. Aber er fügte hinzu, dass diese Einschiebung liturgisch nicht gerechtfertigt sei; es sei nicht richtig, die traditionellen Formulierungen der Liturgie zu ändern.

 

Wenige haben die Anwesenheit des Heiligen Geistes in der Eucharistie mit größerer Beredsamkeit ausgedrückt als der hl. Ephraim der Syrer:

 

Siehe, Feuer und Geist in dem Leib, der Dich trug,

Siehe, Feuer und Geist in dem Fluss, in dem Du getauft wurdest,

Feuer und Geist auch in unserer Taufe,

im Brot und im Kelch Feuer und Heiliger Geist.

In Deinem Brot versteckt ein Geist, der nicht verzehren wird,

in Deinem Wein wohnt ein Feuer, das nicht getrunken wird.

Geist in Deinem Brot, Feuer in Deinem Wein,

ein unerhörtes Wunder und doch von unseren Lippen empfangen.

 

Vollkommene Liebe

 

So ist also der wahre Charakter der Göttlichen Liturgie: Sie ist eine gemeinschaftliche Handlung; eine Handlung, die gleichzeitig irdisch und himmlisch ist; die Handlung des Herrn; die Handlung des Heiligen Geistes.

 

Wir haben begonnen mit der Feststellung des hl. Johannes von Kronstadt: "Die Eucharistie ist ein fortwährendes Wunder." Wir wollen schließen mit einer anderen seiner Aussagen: "In den Worten 'nehmet, esset ... trinket' ist der Abgrund der Liebe Gottes für die Menschheit enthalten. Vollkommene Liebe! Alles umfassende Liebe! Unwiderstehliche Liebe! Was sollen wir Gott aus Dankbarkeit für diese Liebe geben?"

 

Quelle: http://www.kokid.w-srv.net

 

 

Die Göttliche Liturgie - Beständigkeit als Leben aus der Fülle des Heiligen Geistes

 

 

Das Gebet, vor allem aber die Feier der Gottesdienste nimmt im Leben der orthodoxen Kirche den zentralen Platz ein. Dies gilt nochmals in herausgehobenem Maße für die Feier der Heiligen Liturgie, zu der alle übrigen Gottesdienste gleichsam als Vorstufen hinaufführen. Alles geistliche Leben in der Orthodoxie hat deshalb seinen Ursprung in der Feier der Göttlichen Liturgie. Obwohl zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert alle orthodoxen Kirchen den Gottesdienst der Kirche von Konstantinopel annahmen, also heute den byzantinischen Gottesdienstordnungen folgen, wie sie sich an der Großen Kirche der östlichen Christenheit, der Ἁγία Σοφία (Agia Sophia), der Kathedrale der Göttlichen Weisheit, herausgebildet haben, bedeutet diese sichtbare Einheit keinesfalls eine simple Einförmigkeit. Jedes orthodoxe Volk hat im Laufe seiner Geschichte - die immer auch eine je eigene Geschichte des orthodoxen geistlichen Lebens gewesen ist - seine ganz spezifische Weise entwickelt, seine besondere Liebe zu Christus in der je eigenen Art, die gemeinsame orthodoxe Liturgie zu zelebrieren auszudrücken. Orthodoxes kirchliches Leben bedeutet geistliches Leben, in der sich das gemeinsame liturgische Gut im Lichte der Eigenart einzelnen orthodoxen Völker wiederspiegelt. Nur in sofern sind die orthodoxen Ortskirchen auch Nationalkirchen, also Kirchen, die der universalen orthodoxen Glaubenserfahrung auf eine, den Menschen vor Ort angemessene Weise spirituellen Ausdruck verleihen.

 

Wenn es auch keine einheitliche Norm dafür gibt, wie jedes Detail der Göttlichen Liturgie zu vollziehen ist, so gibt es doch eine gemeinsame orthodoxe  Ordnung, die dem kirchlichen Geist, dem Zerkovnost´ als integralem Teil der orthodoxen Tradition entspringt. So gilt es in der orthodoxen Kirche als allgemein gesicherte und anerkannte Tatsache, daß eine Norm, die von allen orthodoxen Kirchen rezipiert ist, der demnach das Pleroma der Kirche das Siegel ihrer Zustimmung aufgedrückt hat, volle Verbindlichkeit besitzt. Eine solche Zustimmung gibt im besonderen Maße es für die bestehende orthodoxe Gottesdienstordnung, die den apostolischen Ursprung treu bewahrt, aber auch die Glaubenserfahrung der folgenden Generationen als dem Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche Christi Rechnung getragen hat. Insofern ist es in der gesamten Orthodoxie gemeinsame Überzeugung, dass keine einzelne orthodoxe Kirche die Gottesdienstordnung mutwillig verändern darf, weil sie damit sowohl die Einheit aller orthodoxen Kirchen als auch das orthodoxe Glaubensgut an sich damit in ernste Gefahr brächte.

 

Weil die Liturgie nicht einfach eine historisch gewachsene Größe im Leben der Kirche, sondern apostolisch gegründete Überlieferung, also einen integralen Bestandteil der Heiligen Tradition darstellt, warnte Seine Heiligkeit Patriarch den römischen Papst Paul VI. vor einer vorschnellen Liturgiereform. Denn jede wesentliche Veränderung in der Heiligen Liturgie kommt an der Frage nach dem Verbindlichkeitscharakter der christlichen Offenbarung und Fülle der kirchlichen Tradition nicht vorbei. Die Heilige Liturgie ist deshalb nicht etwas, über das die Kirche in freier Anpassung verfügen darf, will sie nicht leichtfertig elementare Teile der Glaubensüberlieferung damit in Frage stellen. Nicht umsonst war die protestantische Reformation zugleich mit einer massiven Veränderung und theologischen Umdeutung des Gottesdienstes verbunden. Nach orthodoxem Verständnis erhebt die Feier der Heiligen Liturgie, weil sie das unveränderbare apostolische Glaubensgut in einer unverwechselbareren Feier des Glaubensmysterions feiert, in allen alten Kirchen (orthodoxe Kirche, altorientalische Kirchen und bis zum Zweiten Vatikanum auch in der römischen Kirche) den Anspruch auf Verbindlichkeit für das geistliche Leben in der Kirche. Nach orthodoxem Verständnis ist diese Verbindlichkeit jedoch nicht starr, wie die Fundamentalisten meinen, noch nur zeitgebunden und damit jederzeit beliebig veränderbar, wie die Modernisten meinen, sondern die Verbindlichkeit ist vielmehr pneumatisch, das heißt offen für eine je neue Vertiefung in der jeweiligen Zeit und Kultur.

 

Diese Verbindlichkeit der liturgischen Ordnung bedeutet jedoch kein Streben nach starrer Einheitlichkeit, wie sie die römische Liturgie nach dem Konzil von Trient angenommen hatte. Denn der gemeinsame apostolische Kern der Göttlichen Liturgie wird gerade durch das Wirken des Heiligen Geistes an den zur Liturgiefeier um den Bischof oder den von ihm beauftragten Priester versammelten Gläubigen, der konkreten Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche Jesu Christi vor Ort ausgelegt und verdeutlicht. Deshalb wird die Göttliche Liturgie zu jeder Zeit zugleich auch auf die den Menschen, die in dieser Zeit leben, gemäße Art zelebriert. Das wie wir feiern verändert sich, jedoch nicht das Wesen der Feier selbst. 

 

Insofern kann es nach orthodoxem Verständnis auch keine "Liturgie-Reform", wie sie die römische Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil - durchaus mit vielen geistlichen Kollateralschäden - durchgeführt hat, sondern immer nur ein geistliches Leben  in der Zeit aus dem Pleroma, der Fülle des Wirkens des Heiligen Geistes an der Kirche geben. Diese Fülle des Heiligen Geistes; Sein Wirken, ist es, das die Feier des seit vielen Jahrhunderten gleichen liturgischen Gebetsformulars und seiner gottesdienstlichen Vollzüge zugleich immer wieder ganz "neu" in dem Sinne werden läßt, dass Christus mit Seinen Engeln und Heiligen inmitten der konkreten Gemeinde, der Versammlung (ekklesia) der Gläubigen, anwesend ist und durch die Feier der Heiligen Eucharistie dort Theosis, die vergöttlichende Gegenwart Gottes geschieht.

 

Insofern fragt die Orthodoxie im Gegensatz zu den abendländischen Kirchen nicht danach, was "zeitgemäß", sondern was Gottes-gemäß ist, also was, aus dem Wirken des Heiligen Geistes von der Fülle (pleroma) der gesamten Kirche erkannt, dazu dient, liturgisch der sakramentalen Gegenwart Christi inmitten der Ekklesia rechtgläubig zu dienen. So entfaltet sich der orthodoxe Gottesdienst als ein Gegenwärtig-werden der himmlischen Wirklichkeit inmitten der versammelten Gemeinde. Die Göttliche Liturgie und die sie umrahmenden Gottesdienste des orthodoxen Stundengebetes entfalten anbetend die genuin kirchliche Erfahrung, die sich zutiefst von den aus der protestantischen Reformation hervorgegangenen Glaubensgemeinschaften unterscheidet, eines liturgischen Einwerden der oberen himmlischen Welt mit der streitenden Kirche hier auf Erden.  "Wir haben das wahre Licht gesehen, wahren Glauben haben wir gefunden, die Allheilige Dreieinheit beten wir an...", so bekennt dieses Gegenwärtig-werden des Mysterions während der Feier der Göttlichen Liturgie am Ende der Feier die versammelte orthodoxe Gemeinde.

 

Insofern beinhaltet die Feier der Göttlichen Liturgie genau so wenig das Moment der Beliebigkeit, wie es das rechtgläubige Bekenntnis des christlichen Glaubens, das wir Orthodoxen mit den Worten des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis vornehmen, darstellt. Der Heilige Basilius der Große bezeichnet die ungeschriebene Tradition, zu der auch die Heilige Liturgie gehört, als "Dogma", während er die geschriebene Tradition, die uns in der Heiligen Schrift und in den Werken der Heiligen Väter überliefert als "Kerygma" bezeichnet. Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Ost und West bezüglich des Begriff "Dogma". Während die abendländische Theologie den Begriff scholastisch begreift, also als eine Definition des Glaubensinhaltes, als einen Lehrsatz, ist er für die Orthodoxen vor allem eine geist-gewirkte Umschreibung des rechten Glaubens; ein Gebet, das seinen Sitz im geistlichen Leben der Kirche, in der Feier der Heiligen Liturgie hat. Für die orthodoxe Kirche gehören die  "horoi" des Dogmas, wie der griechische Theologe Christos Yannaras ausführt, nicht zu philosophisch-theoretischen Prinzipien, sondern sie umschreiben die Grenzen (horoi) der Erfahrung der Kirche, welche die gelebte Wahrheit von der Verfälschung durch Häresie trennen. Deshalb kennt die orthodoxe Theologie auch nicht der Vorstellung einer Dogmenentwicklung, sondern das Dogma ist genauso wie das Kerygma Bestandteil der apostolisch übermittelten Glaubenswahrheit. Nach den Worten des heiligen Basilius kommt es, dem gebeteten Dogma zu, das Kerygma auszulegen und zu vertiefen. Dies ist weniger eine Frage der Worte und Begriffe, wie die westlich-scholastische Theologie meint, sondern der Vollzug des Glaubens durch die Feier der Göttlichen Liturgie und der übrigen Mysterien (Sakramente). Das Leben der Kirche ist nicht in erster Linie die Lehre (Predigt), sondern vor allem Verkündigung durch das Gebet. Deshalb ist auch das Verständnis von Mission in den Kirchen des Westens und der Orthodoxie ganz unterschiedlich. Verkündigung geschieht nach orthodoxem Verständnis vor allem und in erster Linie in der Feier der Gottesdienste. Hier wird das Kerygma betend entfaltet, hier vollzieht sich die gesamte Fülle des Heiles in der Abfolge der Feste des Kirchenjahres. Insofern betrachtet die Orthodoxie die Feier der Göttlichen Liturgie als den eigentlichen Herzschlag der Kirche, der das gesamte Leben der Kirche und von dort aus auch den Alltag der orthodoxen Christen durchdringt. So sind das Kerygma und seine Vergegenwärtigung im Dogma die beiden Flügel der Heiligen Apostolischen Tradition. Mit dem heiligen Basilius geht es bei der Feier der  Liturgie nicht einfach um die Frage eines "zeitgemäßen" Gottesdienstes, um Fragen des Zeitgeschmacks bei der Durchführung des Ritus und einer dem modernen Empfinden angepassten Zelebrationsweise, vielmehr geht es beim Vollzug der Göttlichen Liturgie um gebetetes und gefeiertes Dogma.