Die Göttliche Liturgie des heiligen und ruhmreichen Apostels Jakobus

 

Die Göttliche Liturgie des heiligen und ruhmreichen Apostels Jakobus, des Herrenbruders

 Thomas Zmija v. Gojan

 

Die Göttliche Liturgie des heiligen und ruhmreichen Apostels Jakobus, des Herrenbruders und ersten Bischofs von Jerusalem (Η Θεία Λειτουργία του Αγίου Αποστόλου Ιακώβου του Αδελφοθέου), wie sie in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, so lautet im Euchologion (Trebnik) die Bezeichnung des Liturgieformlars, dass liturgiewissenschaftlich als "Alt-Jerusalemer-Liturgie bezeichnet wird. Sie war in der Kirche von Jerusalem und von dort ausgehend im Patriarchat von Antiochien als Form der eucharistischen Liturgiefeier in der Zeit zwischen der Jerusalemer Urgemeinde und der Übernahme der liturgischen Bräuche und Bücher aus Konstantinopel in Gebrauch. In den liturgischen Rubriken des Euchologions wird die Jerusalemer Liturgie als Ritus der Heiligen Stadt (κατὰ τὸv ἁγιοπολίτην oder ἁκολουϑία τοῦ ἁγιοπολίτου) bezeichnet, der orthodox- byzantinische Gottesdienstbrauch wird dort als als der der Grossen Kirche von Konstantinopel (κατὰ τὸν ἐκκλησιαστήν oder ἁκολουϑία ... ὁ ἐκκλησιαστής) bezeichnet. Das Liturgieformular der Jakobusliturgie hat bis heute eine einzigartige altchristliche Feiergestalt mit eigenen frühkirchlichen liturgischen Bräuchen bewahrt. Die griechische Überlieferung der Jakobusliturgie und die der Altorientalen des syrischen Patriarchats von Antiochien zeigen sich einerseits Übereinstimmungen, andererseits auch gewisse Unterschiede In der liturgiegeschichtlichen Forschung wird heute eine, über Handschriften gut greifbare, spätantiken Entwicklungsstufe und eine jüngere, ab dem 8. Jahrundert fassbare, Form die über Stufen der liturgischen Angleichung an den Konstantinopolitaner Kirchenbrauch bis zu dessen Übernahme in 13. Jahrhundert reicht, unterschieden.

 

In den gottesdienstlichen Büchern der orthodoxen Kirche lassen sich vier Formulare für die Liturgiefeier finden. Das älteste Formular der Konstantiopolitaner Tradition stellt die liturgische Ordnug des heiligen Basilius des Großen dar, etwas jünger und kürzer ist die Ordnung des heiligen Johannes Chrysostomus. Bei der Liturgie der vorgeweihten Gaben handelt es sich nicht um eine liturgische Ordnung im eigentlichen Sinn, da es sich bei ihr um eine Große Vesper mit der Austeilung der heiligen Kommunion handelt. Diese Heiligen Gaben sind aber schon in der vorangehenden Sonntagsliturgie verwandelt worden und wurden dann bis zur Ausspendung in der Präsanktifikantenliturgie aufbewahrt. Die Chrysostomus-Liturgie unterscheidet sich von der Basilius-Liturgie nur in einzelnen priesterlichen Gebeten und im Gebet der Anaphora. Ansonsten haben beide denselben Aufbau. Die Jakobus-Liturgie wird heute nur selten gefeiert, meist am Fest des heiligen Apostels Jakobus, des Herrenbruders und am Sonntag vor Weihnachten.

 

Die Jakobusliturgie ist die ursprüngliche liturgische Ordnung der Stadt Jerusalem. Sie macht die altchristlich Gottesdienstradition in Syro-Palästina, der Heimat der Urgemeinde, für uns fassbar. Zentrum dieser Liturgieordnung ist die Anaphora der heiligen Apostels Jakobus, des Herrenbruders. Dieses Darbringungsgebet für die heilige Eucharistie lässt sich für uns durch Handschriften und Textzitate seit der Mitte des 3. bis 4. Jahrhunderts fassen. Das uns heute vorliegende Liturgieformular stammt sicherlich nicht Wort wörtlich vom Heiligen Apostel Jakobus, wohl aber aus dem 4. und 5. Jahrhundert.  Dabei ist die heutige Jakobus- Anaphora vermutlich eine Redaktion einer älteren Form, von der wir aber kein schriftliches Zeugnis besitzen. Diese Form, wie das Anaphoragebet formuliert wurde, jedoch nicht sein detailierter Wortlaut gehen sehr wohl auf den Apostel zurück. Ein wichtiger Zeitzeuge für die liturgischen Traditionen in Jerusalem ist das Reisetagebuch der Pilgerin Etheria.  Sie berichtet uns darin viele Einzelheiten des damaligen liturgischen Lebens und damit auch von der Jakobus-Liturgie.

 

Die Ordnung der Jakobus-Liturgie wurde bereits auf griechisch abgefasst. Neben einer syro-aramäischen Version, denn  die Jerusalemer Gemeinde war in der Spätantike zweisprachig haben wir armenische, georgische, slawische, koptische und andere Handschriften. Selbst im abendländischen Bereich gab es Orte, wo die Jakobus-Liturgie zelebriert wurde (so in Spanien, Gallien und Italien). An der Verbreitung der Jakobus-Liturgie, speziell ihrer Anaphora, zeigt sich die Bedeutung, die Jerusalem für die damalige Christenheit hatte. Während die griechische Fassung der Jakobus-Liturgie, welche bei den Orthodoxen verwendet wurde, zunehmend außer Gebrauch geriet und durch die Liturgieordnungen des heiligen Basilius des Großen und des heiligen Johannes Chrysostomus ersetzte wurden, ist sie bis heute die Liturgieordnung der altorientalischen Syrer geblieben.

 

 

Der Jakobus-Liturgie kam aufgrund ihrer Herkunft aus Jerusalem in der alten Kirche eine einzigartige Bedeutung zu. Nach der syrischen Tradition hatte der heilige Apostel Jakobus die nach ihm benannte Liturgie damals im Abendmahlssaal aufgeschrieben, ja, »aus dem Mund des Herrn selber gehört und gelernt«. Darauf weist auch der Text der Jakobus-Liturgie hin: "Dieses selbe Opfer bringen wir dir dar ... für Deine heiligen Stätten  ... vor allem für Sion". Bis in die christlichen Antike reicht deshalb die Überlieferung der Kirche zurück, dass diese Liturgieordnung in Jerusalem entstanden und in ihren wesentlichen Grundzügen auf das apostolische Überlieferungsgut des Herrenbruders zurückgeht.

 

Der heilige Johannes Chrysostomus hat als Bischof von Antiochien die Jakobus-Liturgie gefeiert und erwähnt sie ausdrücklich in seinen Homilien und Schriften. Die antiochenische Liturgieordnung, die dann die Ordnung der Chrysostomus-Liturgie wesentlich geprägt hat, ist nämlich nicht ohne die Liturgie der Stadt Jerusalem zu verstehen.

 

Die Bedeutung der Stadt Jerusalem für die Ausgestaltung des christlichen Gottesdienstes wurde nach Zerstörung der Stadt im Jahre 70 nach Christus zwar geringer, jedoch wuchs sie unter der Herrschaft des apostelgleichen Kaisers Konstantin erneut. Insbesondere das zu dieser Zeit aufkommende christliche Pilgerwesen zu den heiligen Stätten, die die heiligen Konstantin und Helena mit repräsentativen Basiliken geschückt hatten, ließ auch die liturgische Strahlkraft Jerusalems erneut zunehmen. Im Jahre 325 wurde die Stadt durch das Konzil von Nikaia zum Patriarchat erklärt. Unter dem heiligen Kaiser Konstantin wurde die gottesdienstlichen Feiern in Jerusalem prachtvoll ausgestaltet und das liturgische Erbe der Jerusalemer Kirche wurde reich entfaltet, indem die Heilsereignisse, wie die Pilgerin Egeria uns berichtet, an den jeweiligen Orten und zu den Stunden der biblischen Berichte festlich begangen wurden (vgl.: Pilgerreise der Aetheria (Peregrinatio Aetheriae). Hrsg. von H. Pétré und übersetzt von K. Vretska, 5 Klosterneuburg 1958). Noch heute folgen die Gottesdienste der Großen und Heiligen Woche (Karwoche) in der gesamten Orthodoxie dem Brauch (Typikon) der Kirche von Jerusalem. So übernimmt auch die Kirche in Konstantinopel zahlreiche Impulse aus Jerusalem in der Ausgestaltung des liturgischen Festkreises, des Kirchbaus und der Tagzeitengottesdienste.

 

Nach der Kirchenspaltung zwischen den Orthodoxen und Miaphysiten und nach der Eroberung des Orients durch die muslimischen Araber begannen die orthodoxen Patriarchate von Antiochien, Jerusalem und Alexandrien sich zunehmend an die Kirche von Konstantinopel anzulehnen und schrittweise auch die liturgischen Traditionen aus Konstantinopel zu übernehmen. Zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert  gibt dann das Patriarchat von Jerusalem seine liturgische Eigenständigkeit auf und übernimmt die orthodox-byzantinischen Gottesdienstformen aus Konstantinopel. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um eine dogmatische oder kirchenrechtliche Festlegung, das die alten Liturgien von Jerusalem, Antiochien und Alexandrien bis heute als genuin orthodoxe Liturgieordnungen gelten.

 

Weil die heilige Liturgie eine Überlieferung darstellt, die das Mysterion der heiligen Eucharistie gleich einer Perle (vgl.: Matthäus 13:45-46) einfasst, warnte auch Patriarch Athenagoras den römischen Papst Paul VI. vor einer vorschnellen "Liturgiereform". Jede wesentliche Veränderung in der Liturgie als dem Glaubens-Atem der Kirche kommt am Ende an der Frage nach der Verbindlichkeit der christlichen Offenbarung und kirchlichen Tradition nicht vorbei. Die Liturgie ist nicht etwas, über das die Kirche in freier Anpassung am grünen Tisch theologischer Komissionen verfügen kann, wie es die römische Kirche bei der Ausarbeitung des "Novo Ordo Missae" nach 1965 getan hat. Besonders erschwerend kam dabei hinzu, dass der mystisch-sakramentale Charakter der heiligen Liturgie dabei weithin zugunsten einer protestantischen Gottesdienst- und Abendmahlsauffassung aufgegeben wurde. Dies war mit der Hoffnung vor allem bei Papst Paul VI. verbunden, mit einer solchermaßen "erneuerten" Liturgie die seit der Reformationszeit zerbrochene Einheit der Westkirche wiedergewinnen zu können. Nach orthodoxer Auffassung liegt die Liturgie als Teil der heiligen, apostolischen Tradition nicht in solchem Maße in der Verfügungsgewalt einer bestimmten Generation der GläubigenVielmehr erhebt der Vollzug der Göttlichen Liturgie, weil er auf unverwechselbare Weise das Mysterium des Glaubens feiert, den Anspruch auf Verbindlichkeit im Leben der Kirche. Gleichzeitig, dies zeigen deutlich auch die kleinen Varianten im Vollzug der Göttlichen Liturgie bei den einzelnen orthodoxen Völkern, ist sie Frucht des in ihr wirkenden Heiligen Geistes und deshalb - bei aller liturgischen Einheit - auch offen für die Vielgestaltigkeit der vor ihr geistlich ergriffenen Völker und Kulturen. Auch ist die Liturgie kein starres archaisches Ritual wie es etwa die russischen Altritualisten und Teile der Altkalendarier meinen, sondern Vergegenwärtigung des Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Glaubens der Kirche Christi. Insofern bleibt der Vollzug der Liturgie auch offen für ein je um je tieferes Verstehen durch die heutige orthodoxe Glaubenspraxis.

 

Unter den Orthodoxen in kommt der Jakobus-Liturgie in Jerusalem und Galiläa heute wieder eine verstärkte Bedeutung zu.

 

 

Die Liturgie des Herrenbruders Jakobus

 

Einen wichtigen Beitrag zu Einheit und Einigkeit der frühen Christenheit leistet Jakobus als erster Bischof von Jerusalem auf dem Apostelkonzil (49/50) im Streit um „Judenchristen" und „Heidenchristen“. Es ging um die Frage, ob neubekehrte Heiden zuerst Juden werden müssen, um Christen sein zu können. Jakobus schlägt als Kompromiss vor, den Heidenchristen keine jüdischen Gebräuche (Beschneidung u. a.) aufzuerlegen, sondern nur Enthaltung von Götzenopfern, von Unzucht und von nichtgeschächtetem Fleisch zu fordern. Dieser Vorschlag findet allgemeine Zustimmung, legt den Streit friedlich bei und ist ein unbestrittener Erfolg des Vorstehers der Jerusalemer Urgemeinde. 

 

Ob unser Jakobus auch der Verfasser des nach ihm benannten, sog. ersten katholischen Briefes ist, lässt sich aus dem Neuen Testament nicht belegen. Aus späteren Schriften (Evangelium der Hebräer, Historiker Josephus Flavius, Klemens von Alexandrien, Hegesippus, Eusebius, Hieronymus, Epiphanius, Theodosius, Gregor von Tours u. a.) erfahren wir weitere Einzelheiten aus dem Leben des Jakobus. Bei der Privaterscheinung des Auferstandenen soll Christus ihm die Gabe der Weisheit verliehen haben. Auch soll der Herr selber ihm die Leitung der Jerusalemer Gemeinde anvertraut haben, und gestützt darauf hätten die Apostel ihn vor ihrer Zerstreuung offiziell dazu eingesetzt. Jakobus hatte die „speziellen Gelübde“ eines Nasiräers abgelegt, lebte zölibatär, schnitt sich weder Haupt- noch Barthaar, trank keinen Wein, trug keine Sandalen, kleidete sich nur mit härenen Gewändern, verbrachte ganze Tage und Nächte im Gebet („die Haut an seinen Knien war hart wie bei den Kamelen“), und er wurde wegen seiner Gesetzestreue und seiner asketisch-strengen Lebensführung mit dem Beinamen „der Gerechte“ geehrt. Den Tod des römischen Gouverneurs Festus und das damit verbundene politische Vakuum ausnützend, schleppten die Schriftgelehrten den ihnen verhassten Jakobus vor ein jüdisches Gericht, dessen Leiter Ananus, der Sohn des in der Passion Christi erwähnten Annas, war. Dieses Gericht verurteilte ihn zum Tode, und die Schriftgelehrten stürzten ihn eigenhändig von der Tempelzinne und, da er noch nicht tot war, steinigten sie ihn ganz zu Tode. Dies geschah am Passahfest (10. April) des Jahres 62 (oder 61 oder 63). Sein Grab fand er neben dem Tempel, nach einer anderen Version auf dem Ölberg. Noch im 4. Jahrhundert zeigte und verehrte man seinen Bischofsstuhl. Seine Reliquien wurden später nach Konstantinopel und ein Teil davon noch später nach Rom (Kirche der 12 Apostel) überführt. 

 

Jerusalem die Heimat der Liturgie

 

Jesus Christus feiert mit seinen Jüngern in Jerusalem, das zur Groß- Provinz Syrien gehört, als erste Liturgie das jüdische Ostermahl am Vorabend vor seiner Passion und Auferstehung. Von dieser Ur-Liturgie berichten die Evangelien einiges weniges. Nach der Himmelfahrt des Herrn feiern die Apostel mit der Jerusalemer Urgemeinde diese Ur-Liturgie in christlicher Entwicklung weiter, und darüber haben wir in der Apostelgeschichte einige Nachrichten, z. B. „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Wesentlich sind also die Apostolizität, die Gemeinschaft, das Brechen des Brotes, die Gebete. Paulus bezeugt dazu „Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder“ (Kol 3,16). Als nun die Apostel und Jünger von Syrien aus in alle Welt ausziehen, um allen Völkern der Erde nach dem Auftrag des Herrn die Frohbotschaft zu bringen, da nehmen sie die Form der Ur-Liturgie von Jerusalem, der Mutterkirche der Christenheit, mit nach Antiochien, Alexandrien, Edessa, Kappadokien, Mesopotamien, Rom, ja bis nach Indien soll der Apostel Thomas gereist sein. Ganz selbstverständlich erfolgt jetzt eine Anpassung der Ur-Liturgie an die lokalen Gegebenheiten in kultureller, sprachlicher, philosophischer Hinsicht, immer aber unter Wahrung des apostolischen Kerns. Jede liturgische Weiterentwicklung wird von der frühen Kirche nach ihrer „Apostolizität“ beurteilt: entspricht diese Anpassung, diese Neufassung, diese Formulierung, dieser Ausdruck dem Geist des apostolischen Kirchengründers? Könnte dies vom Apostel so formuliert worden sein? Apostolizität bedeutet demnach nicht unbedingt, dass der genannte Apostel auch wirklich der Verfasser oder Urheber ist, sondern nur, dass kein Widerspruch zur Lehre der Apostel besteht. Darin „findet der innere Zusammenhang der Liturgie mit der apostolischen Zeit sein konkretes Symbol“ (Fr. Heiler). Es ist wohl auszuschließen, dass der Herrenbruder wirklich der Verfasser der ganzen, nach ihm benannten Liturgie ist, vielleicht trug das eine oder andere Gebet seinen Namen als Titel, der dann auf die ganze Liturgie übertragen wurde. Der Name Jakobus bürgt für Herkunft dieser Liturgie aus dem engsten Umkreis von Christus aus der Heimat des Christentums: Jerusalem. 

 

Aus: Die göttliche Liturgie des heiligen Apostels Jakobus des Herrenbruders und ersten Bischofs von Jerusalem. Andreasbote, September 2006.