Das Haus Gottes-Die orthodoxe Kirche

 

Eine Einführung in den orthodoxen Kirchenraum

 

 

Da der orthodoxe Kirchenraum nach einem bestimmten Schema angelegt ist, lassen sich eine Reihe von architektonischen Merkmalen anführen, in denen alle orthodoxen Kirchen übereinstimmen. Es handelt sich hier allerdings um eine idealtypische Darstellung, da es lokale Abweichungen von diesem Schema gibt.

 

Das in der Regel nach Osten ausgerichtete Gotteshaus betritt man durch einen äußeren Vorraum, den Exonarthex. In Kloster-Kirchen hängt hier das Simantron, ein längliches Klopfholz, mit dem vor allem in Griechenland und den Balkanländern die Mönche zum Gottesdienst gerufen werden. Daran schließt sich die eigentliche Vorhalle, der Narthex an, in dem sich gewöhnlich auch das Taufbecken befindet.

 

Das eigentliche Kirchenschiff, Heiligtum genannt ist der Ort der Gemeinde. Hier wird auch das Stundengebet und die Gebets- und Fürbittgottesdienste vollzogen. Bis auf die Feier der Heiligen Eucharistie werden hier auch alle anderen Mysterien (Sakramente) vollzogen. Zwischen dem Kirchenschiff und dem Altarraum befindet sich der Ikonostas, die von drei Türen durchbrochene Altarschranke, auf dem nach einer festgelegten Ordnung die wichtigsten Ikonen der Kirche angebracht oder aufgestellt sind.

 

Für westlich-abendländische Betrachter, die in ihren heutigen Kirchen weder die bis zum Zweiten Vaticanum in den katholischen Kirchen üblichen Kommunionbänke, noch die altkirchlichen Altarschranken oder den mittelalterlichen Lettner mehr kennen, scheint der Ikonostas die Kirche vom Altarrraum abzutrennen. Jedoch hat der Ikonostas in der Feier der orthodoxen Gottesdienste nicht die Funktion einer Trennung zwischen Priestern und Laien, sondern die Funktion der Sichtbarmachung der himmlischen Hierarchie und Herrlichkeit, also der in den Himmeln um Christus versammelten Gemeinschaft der Engel und Heiligen, zu deren ewigen himmlischen Gottesdienst die um ihren Bischof oder Priester auf Erden sich versammelnde Gemeinde hinzutreten darf. So hat der Ikonostas sowohl die Funktion, uns die Heilige Gegenwart Gottes in der Kirche ehrfürchtig vor Augen zu führen, indem sie das Heilige des Mysterium durchaus in Ehrfurcht verhüllt und uns gleichzeitig, durch die in der Abbildung der himmlischen Hierarchie, das Heilige anbetend vor Augen führt. 

 

Der durch ein Kreuz gekrönte Ikonostas ist nach einem festgelegten Schema aufgebaut, von kleinen, oft baulich bedingten Abweichungen einmal abgesehen. Er lässt sich von oben nach unten lesen und erzählt uns mit den hier angebrachten Ikonen die Geschichte der Heilsoffenbarung. In der obersten Reihe befindet sich die um die Ikone der Allheiligen Gottesgebärein vom Zeichen versammelte Reihe der Heiligen Vorväter, Patriarchen und Propheten des Alttestamentlichen Bundes. Dies verweist darauf, dass die heiligen Propheten, Vorväter und Patriarchen des Alten Bundes die Geburt des Sohnes Gottes aus der Jungfrau vorhergesagt und mit Sehnsucht und unter Gebet erwartet haben.

 

Darunter folgt um eine Deesis-Ikone, die die Fürbitte der Allheiligen Gottesgebärerin und des Heiligen Johannes des Täufers vor Christus, dem Herrscher des Alls auf dem himmlischen Thron darstellt, die Versammlung (Synaxis) der Heiligen Apostel und großen Heiligen der KircheDer thronenden Christus zeigt uns das aufgeschlagene Evangelienbuch, die rettende und heilbringende frohe Botschaft. Daran schließt sich die Reihe der Festtagsikonen mit der Darstellung der wichtigen Christus- und Marienfeste des Kirchenjahres an.

 

Auf der Höhe der drei Türen befindet sich Rechts von der Mitteltür die Darstellung Christus des All-Herrschers. Er ist als der im Himmel Herrschende und am Ende der Zeiten Wiederkommende dargestellt. Mit seiner rechten segnet Er und in Seiner Linken trägt der das meist aufgeschlagene Evangelienbuch. 

 

Links  von der mittleren Tür, die Königliche Pforte genannt wird, ist die Allheilige Gottesgebärerin abgebildet. Als die Mutter Gottes zeigt sie uns den Christusknaben, Christus Emanuel, den Fleischgewordenen Logos und Sohn Gottes.

 

 

Auf den Flügeln der mittleren Tür ist in der Regel die Verkündigung des heiligen Erzengels Gabriel an die allheilige Gottesgebärerin dargestellt. Oft treten die Ikonen der heiligen vier Evangelisten zur Verkündigungsikone hinzu. Da die mittlere Tür direkt zum Altar führt, findet sich als Variante auf den Königlichen Türen bisweilen auch die Darstellung der Heiligen Johannes Chrystostomus und Basilius der Große, von denen in der Heiligen Liturgie gesprochenen Gebete stammen. Über der mittleren Tür befindet sich eine Ikone mit der Darstellung des Heiligen Abendmahls.

 

Auf der rechten und linken Seitentür sind oft Ikonen der Heiligen Erzengel Michael und Gabriel angebracht. Hin und wieder finden sich auch Darstellungen der heiligen Märtyrer und Erzdiakone Stephanus und Laurentius. Ganz links befindet sich in dem Verehrungs-Rang der Ikonostas die Ikone des heiligen Johannes des Täufers, des letzten Propheten des Alten Bundes und des Vorläufers und Verkünders des Kommens Christi. Ganz rechts befindet sich meist die Ikone des Heiligen, dem die Kirche geweiht ist. Wenn wir durch die rechte Seitentür in den Altarraum eintreten würden, würden wir in der Mitte des Altarraums, dem Allerheiligsten einer orthodoxen Kirche, den Altar, auch Thron genannt, sehen. Hinter dem Altar befindet sich ein siebenarmigen Leuchter und das Altarkreuz. Oft befinden sich rechts und links vom Altarkreuz die Rhipidien oder auf Stangen angebrachte Prozessionsikonen. Die Rhipidien sind liturgische Fächer, die mit Darstellungen der heiligen Cherubim geschmückt sind. 

 

Auf der linken Seite des Altarraum befindet sich der Rüsttisch, vom Griechischen kommend in der orthodoxen Kirche auch Prothesis genannt. Hier werden in der Proskomedie die Gaben von Brot und Wein für die Feier der Göttlichen Liturgie vorbereitet und zugerüstet. Heute wird diese Gabenbereitung während der Lesung des Stundengebetes (russisch-slawische Tradition) beziehungsweise des Morgengottesdienstes (griechische ´Tradition) vollzogen.

 

Mit dem Altarraum sind in großen Kirchen zwei Funktionsräume verbunden. Hier befindet sich der Rüsttisch dann links in einer eigenen kleinen Kapelle, Prothesis genannt. Rechts vom Altarrraum befindet sich das Diakonion, wo die liturgischen Gewänder, Ikonen und das Buch für die Epistellesungen aufbewahrt wird.

 

Die zweiflügelige Königliche Tür wird nur von den Geistlichen während der Gottesdienste durchschritten. Normalerweise wird der Altarraum durch die sogenannte nördliche (=rechte) Tür betreten und durch die sogenannte südliche (= linke Tür) wieder verlassen.

 

Orthodoxe Christen betreten den Altarraum als Allerheiligste mit besonders großer Ehrfurcht. Deshalb werden beim Betreten des Altarraums auch drei Verneigungen (Metanie/proklon) in Richtung des als Thron Gottes begriffenen Altars gemacht. Auf dem Altar steht auch das Artophorion, das die Heiligen Gaben für der Krankenkommunion enthält.

 

Wegen der besonderen Heiligkeit gelten für das Betreten des Altarraums im Prinzip folgende Grundregeln:

 

1.) Sei dir bewusst, dass du in der gesamten Kirche, vor allem aber im Altarraum vor die allheilige Gegenwart Gottes Selbst trittst.

 

2.) In den Altarraum gehe deshalb nur, wenn du dort zu diesem Zeitpunkt einen liturgischen Dienst zu verrichten, beziehungsweise dort dem Liturgen zu helfend zu dienen  hast.

 

 

Der Altarraum in einer orthodoxen Kirche

 

 

Der wichtigste Teil der orthodoxen Kirche ist der Altarraum. An diesem heiligen Ort stehen der Altar und der Rüsttisch, Prothesis genannt. Im Aufbau des Gesamtkirchenraums symbolisiert der Altarraum den Himmel und der Altar selbst den Thron Gottes. Eine weitere Symbolik des Altars ist die des Grabes Christi. Das Wort Altar stammt aus der lateinischen Sprache und bedeutet “erhöhter Opfertisch”. Der Altartisch, welcher in der russischen Tradition aus Holz gefertigt ist, in der griechischen Tradition jedoch auch eine, auf einer Säule oder einem Steinsockel befestigte, Steinplatte sein kann, steht erhöht in der Mitte des Altarraums. Sei byzantinischer Zeit kann er mit einem auf Säulen stehenden Baldachin überwölbt sein.

 

Auf dem Altartisch liegt das Evangelienbuch. Es enthält die vier heiligen Evangelien. Unter dem Evangeliar befindet sich in ein rotes Tuch eingeschlagen das heilige Antimension ( Ἀντιμήνσιον). Es ist ein viereckiges Tuch aus Seide oder Leinen mit einer aufgedruckten Ikone der Grablegung Christi und Seiner Leidenswerkzeuge. An den vier Ecken des Antimensions sind die Symbole der vier Evangelisten dargestellt: der Stier, der Löwe, der Engel und der Adler. Das Antimension wird immer vom Bischof, der es geweiht hat, unterschrieben, wobei auch angegeben ist, wo und wann diese Weihe statt gefunden hat und für welche spezielle Kirche das Antimension geweiht wurde. Jede orthodoxe Kirche besitzt ein solches Antimension. Ohne das Antimension kann die Göttliche Liturgie nicht gefeiert werden, denn das Antimension repräsentiert einerseits das Grab Christi, anderseits vermittelt es die spirituelle und kanonische Einheit der gesamten Ortskirche. Durch das für die jeweilige einzelne Kirche geweihte Antimension und durch den jeweiligen Priester, der wiederum auch für den Dienst an dieser einzelnen Kirche und an diesem Altar durch den Bischof eingesetzt wurde; der deshalb auch dort an dieser Kirche und in dieser Gemeinde den Bischof als den eigentlichen Seelsorger und geistlichen Vater seiner gesamten Diözese vertritt, wird die Einheit aller Gemeinden des Bistums als der Ortskirche liturgisch gegenwärtig. 

 

Auf dem Antimension liegt dauerhaft ein flach gepresster kleiner Schwamm, mit dem die Partikel des eucharistischen Leibes Christi während der Liturgiefeier vom Diskos in den Kelch geschoben werden. Das Antimension liegt gewöhnlich zusammengefaltet und in ein rotes Seiden- oder Leinentuch, Iliton genannt, eingeschlagen auf dem Altar. Es wird während der Liturgie der Gläubigen auseinandergefaltet und nach der Kommunion, wenn die Heiligen Gaben zur Protesis übertragen wurden wieder in besonderen Weise zusammengelegt und in das Iliton eingeschlagen. Das griechische Wort “Antimension” bedeutet: "an Stelle des Altars” denn das Antimension hat dieselbe Bedeutung wie der Altar. Deshalb kann mit einem Antimension die Göttliche Liturgie an jedem notwendigen Ort, zum Beispiel einem Kinderlager oder Altenheim, gefeiert werden. Ohne ein Antimension kann aber auch in einer Kirche mit einem geweihten Altar keine Liturgie zelebriert werden. Im mittleren oberen Teil des Antimensions werden in einem kleinen Säckchen Reliquien eingenäht, die in eine Masse aus Wachs und Weihrauch eingelassen sind. Ist der Altar der Kirche vom Bischof geweiht worden, das heißt, ist die Große Kirchweihe vollzogen worden, so befinden sich auch im Altartisch selbst Reliquien.
Außer dem Evangelienbuch und dem Antimension liegen auf dem Altar noch das Segenskreuz. Am oberen Ende der Altars des Altars befindet sich der Tabernakel, auch Artophorion (Gabenträger) genannt. Dieses kleine Schränkchen oder Gefäß dient der Aufbewahrung der Krankenkommunion. In der russischen Tradition ist er oft wie eine kleine Kirche gestaltet. Außer den Heiligen Gaben für die Krankenkommunion wird auf dem Altar auch das heilige Myron aufbewahrt.

 

Hinter dem Altar steht der siebenarmige Leuchter, das Altarkreuz und die Rhipidien.  Der siebenarmige Leuchter wurde von der orthodoxen Kirche aus dem Gottesdienst im Jerusalemer Tempel  übernommen. Auf dem siebenarmige Leuchter brennen sieben kleine Lampaden in reinem Olivenöl. Die Anzahl dieser sieben Lichter den sieben Sakramenten der Kirche (Taufe, Myronsalbung, Beichte, Eucharistie, Ölsakrament, Ehe und Priesterweihe. Die sieben Öllichter bedeuten aber auch das Licht der sieben Gaben des Heiligen Geistes, die die Seele eines jeden Gläubigen erleuchten sollen. Hinter dem siebenarmigen Leuchter befindet sich das Altarkreuz. Es ist ein kunstvoll gestaltete Ikone der heiligen Kreuzes. Oft ist es auch als Vortragekreuz gestaltet. Rechts und links vom Altarkreuz befinden sich die Rhipidien. Das Rhipidion von griechisch ῥίπτω = fächern) ist in der orthodoxen Kirche ein liturgisches Gerät, das aus einer runden Ikone eines Cherubim besteht, die auf eine Stange montiert ist. Das Rhipidion entwickelte sich einst aus dem Flabellum genannten Fächer in der antiken Kirche. Dieser Federfächer auf einer langen Stange wurde während der Göttlichen Liturgie und den anderen Gottesdiensten am Altar bewegt, sowohl um Luft zuzufächeln, als auch um Insekten von den Zelebranten und den Heiligen Gaben und vom Altar fernzuhalten. Mit der Zeit entwickelte sich dieser Fächer zu einem liturgischen Symbol, um die Würde des Geschehens zu unterstreichen. Ähnliche Fächer gab es auch im Hofzeremoniell der römischen Kaiser. Heute symbolisieren die Rhepidien im liturgischen Gebrauch die Cherubim, die vor dem Throne Gottes schweben. Sie werden hauptsächlich in der Liturgiefeier bei der Lesung des Evangeliums und während der Übertragung der Gaben auf den Altar im Rahmen des Großen Einzugs gebraucht.

 

 

Auf der linken Seite im Altarraum findet sich die Prothesis, der Rüstisch, auf dem Brot und Wein in der Proskomidie bereitet werden, bevor man sie zum Altar überträgt. Auf dem Rüsttisch (πρόϑεσις/  Жертвенник) stehen der Kelch und die Brotschale (Diskos).

 

 

Schon in apostolischer und altchristlicher Zeit, als sich die Gemeinden während der Verfolgungen in unterirdischen Kirchen innerhalb ihrer Grabanlagen (Katakomben) zum Gebet und zur Feier der Göttlichen Liturgie versammelten und außerhalb der akuten Verfolgungswellen besonders dafür umgebaute Wohnhäuser als Kirchen gebrauchten, teilten den vorderen Teil der Kirche mit einem hölzernen oder steinernen Gitter oder einer Schranke ab, hinter der sich der Altar befand. Dieser Altar war oft ein Steinsarkophag mit den Reliquien eines Märtyrers. Auf diesen Reliquien wurde dann die Göttliche Liturgie zelebriert, denn das Grab des christlichen Märtyrers symbolisiert Christus selbst. Deshalb steht heute im Zentrum des Altarraumes der Altartisch, auf dem das Antimension liegt, in welches Partikel von Reliquien eingenäht sind. Diese heiligen Reliquien bilden eine direkte liturgische Verbindung zwischen dem Altar in der irdischen Kirche mit dem Altar der himmlischen Kirche an dem Christus als der eigentliche Liturg das heilige Opfer der Darbringung vollzieht (vgl.: Apokalypse 4 & 5).

 

Aus der Altarschranke in Form eines niedrigen Gitters in der apostolischen und ersten nachapostolischen Zeit entwickelten sich etwa um die Zeit des heiligen apostelgleichen Kaisers Konstantin die Altarschranken. In Laufe der Zeit verwandelte sich diese in die Ikonostase mit der Königstür und den Seitentüren. Die Entwicklung von den Altarschranken bis zur Ikonostas war dann im 13. Jahrhundert abgeschlossen. Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelten sich dann die Ikonostasen mit den vielen Rängen der Ikonen, die dann den gesamten Apsisraum ausfüllten. Heute ist die Entwicklung wieder gegenläufig, so dass eher offene, für die aktive Teilnahme der Gläubigen im Kirchenschiff durchlässig gestaltete Ikonostasen bevorzugt werden.

 

 

Von alters her bis heute wird der Altarraum im Vergleich zum Kirchenraum etwas erhöht gebaut. Die Mitte des Altarraumes nimmt der Altartisch ein. Die östliche Wand des Altarraumes ist als Halbkreis errichtet – die Apsis. In der Mitte der Apsis, dem Altartisch gegenüber, steht auf einer Erhöhung der Sitz für den Bischof – Symbol des Thrones, auf dem der Christus, der Pantokrator und eigentliche Liturg Selbst unsichtbar sitzt. Neben dem Bischofsthron befinden sich rechts und links die Sitze für die Priester. Links davon befindet sich der Rüsttisch, auf dem die Vorbereitung der Gaben (Proskomidie) vollzogen wird. Nach russischer Tradition kann an der nördlichen Seite des Altartisches eine Prossessions-Ikone der allheiligen Gottesgebärerin auf einem Holzstab und an der südlichen Seite ein Prozessions-Kreuz stehen.

 

 

Das orthodoxe Gotteshaus als Ikone der

  kirchlichen Heilsgemeinschaft

 

von Michalis Staikos (†)

Metropolit von  Österreich

 

 

Es ist in der Orthodoxen Kirche – vor allem im Vorraum des Kirchengebäudes – möglich, auch die Darstellungen der alten griechischen Philosophen anzubringen. Damit gewinnt der Horizont des Heils an Weite, an bewundernswerter Vielfalt – im Gegensatz zu oft sehr engherzigen Auffassungen einer übertriebenen konfessionellen Einkapselung, ja sogar Ausgrenzung. Vom Vorraum zurück in die Kirche:

 

Als konkrete Stätte der Heilsvermittlung dient der Kirchenraum. Ein Raum, in dem der Sünder allerdings nicht alleine steht, sondern in Liebe von den Heiligen in Empfang genommen wird. Ein orthodoxer Kirchenraum ist daher immer voll von Ikonen, seien sie tragbar, seien sie an die Wand gemalt. Bemerkenswerterweise beginnen die Wandmalereien in einer bestimmten Höhe, dort nämlich, wo die Höhe des Menschen aufhört, und auf diese Weise wird der lebende, der betende Mensch in der Kirche faktisch zur Verbindungsgestalt zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen. Das ist ein Ausdruck dafür, dass die Kirche jedem Menschen eine vermittelnde Mission zugesteht. Jeder Mensch kann Vermittler des Himmlischen auf Erden sein. Und wer es versteht, ein Werkzeug der göttlichen Gnade zu werden, erlangt damit auch Heiligkeit.

 

Bloß, vermitteln ist nicht alles. Jede Vermittlung von Heiligkeit setzt nämlich auch ein Leben dieser Heiligkeit voraus, ein Er-Leben. Ich vermittle also nicht nur das von der Kirche zu vermittelnde, sondern auch das erfahrene, das erlebte Heil; ich gebe das Erlebte weiter. Dann bin ich dem Stand der Heiligkeit ein bisschen näher gerückt.

 

In der Kuppel sehen wir also den Pantokrator. Unter ihm befinden sich die Engel, danach die vier Evangelisten auf den vier Säulen, die die Kuppel tragen. Unterhalb der Mariendarstellung befinden sich die Propheten und die alttestamentarischen Gerechten, danach die Apostel, an den übrigen Wänden die anderen Heiligen.

 

 

In der Ikonenwand zwischen dem Altarraum und dem Hauptschiff (in der Ikonostase) mit ihren drei Türen sind wenigstens vier Ikonen: die von Christus, die der Gottesmutter, die von Johannes dem Täufer und eine Ikone desjenigen Heiligen, in dessen Namen und zu dessen Ehren die Kirche erbaut wurde. Die Türen zeigen die Verkündigung Mariens und die Erzengel Gabriel und Michael, oberhalb dieser Ikonen gibt es zwölf kleinere Ikonen mit Szenen aus dem Leben Jesu.

 

 

Alle diese Ikonendarstellungen bilden eine große Synthese der Gemeinschaft der Heiligen, an der auch alle Menschen teilnehmen können, weil schließlich das ganze Menschengeschlecht erlöst worden ist. Auch der verlorene Sohn hat nie damit aufgehört, Sohn zu sein, also steht er immer unter Gottes Schirmherrschaft. Und so vermittelt der Kirchenraum mit seiner symbolträchtigen Architektur, mit all diesen Darstellungen und mit all dem vielfältigen liturgischen Leben, das in ihm mit Gebeten und Hymnen vor den Ikonen, mit Kerzenlicht und Weihrauch vollzogen wird, den lebendigen Lauf der Heilsgeschichte und damit die Geborgenheit in der Gemeinschaft.

 

Diese Gemeinschaftsauffassung berechtigt zu Hoffnung und Zuversicht auch für diese konkrete Welt, denn der orthodoxe Mensch kennt keine Isolierung. Er fühlt sich immer in Gemeinschaft, immer begleitet, so, wie auch das israelitische Volk begleitet war auf seiner Wanderschaft in das gelobte Land nach dem Exodus aus Ägypten. Die Gemeinschaft der Heiligen und besonders die auf Liebe basierende Gemeinschaft in der Kirche, Abbild der Gemeinschaft der drei göttlichen Personen, hat konkrete Konsequenzen – auch für das konkrete Leben hier in dieser Welt. Denn diese Gemeinschaft übt sich keineswegs in Ablehnung dieser Welt, sondern in ihrer Annahme. Und schließlich, Erlösung bedeutet nicht Erlösung von dieser Welt, sondern Erlösung auch dieser Welt und für diese Welt.

 

 

Die orthodoxen Ikonen sind also keine religiösen Bilder, sondern abgebildeter Glaube; und die orthodoxen Hymnen sind keine frommen Lieder, sondern gesungener Glaube. Ikonen und Hymnen bringen daher die orthodoxe Theologie zum Ausdruck, sie dienen der Lobpreisung Gottes und der Danksagung des Menschen. Sowohl in der Hymnologie als auch in der Ikonologie finden wir aber zugleich die Widerspiegelung des Inhalts unseres christlichen Glaubens. Die Entwicklung beider Künste entspricht in vielfacher Hinsicht jener Entwicklung, welche die theologischen Auseinandersetzungen durch die Jahrhunderte hindurch genommen haben, doch der Mittelpunkt der pastoralen Sorge unserer Kirche war und ist die dynamische Entwicklung des menschlichen Lebens in der jeweiligen Epoche und in der jeweiligen konkreten Situation. Und diese Auseinandersetzung geschieht keineswegs nur auf rational-theoretischer Ebene, sondern durchaus auch praktisch und existentiell. Interessanterweise hat diese Sorge der Kirche um die konkrete menschliche Problematik selbst in das liturgische Leben Eingang gefunden. Die Gebete und die Fürbitten wie auch die Hymnen auf der einen und die Ikonen auf der anderen Seite beinhalten diesen Sachverhalt auf eindrucksvolle Weise in Wort und Bild.

 

𝐖𝐚𝐬 𝐢𝐬𝐭 𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐋𝐚𝐦𝐩𝐚𝐝𝐞?
Eine Lampade ist ein Ewiglicht, das vor den heiligen Ikonen brennt. Entsprechend der kirchlichen Tradition wird der brennende Docht mit reinem Olivenöl versorgt. Aber inzwischen gibt es auch Lampaden, die entweder mit einem anderem Öl oder Teelichtern, ja sogar LEDs erleuchtet werden.
Die Lampaden gehen auf die Ewiglichter zurück, die das alttestamentliche Gottesvolk im Jerusalemer Tempel vor dem Allerheiligsten und in den Synagogen vor dem Thora-Schrein entzündeten. Die ersten Christen entzündeten Lampaden zur  Beleuchtung der dunklen Katakomben, in welchen sie aus Furcht vor Verfolgung ihre Gottesdienste abhielten und wo sie auch die im Herrn Entschlafenen beisetzten.
Des Weiteren wurden Lampaden zu einem wichtigen Detail bei der Ausschmückung der christlichen Kirchen.
Gewöhnlich zündet man eine Lampade nicht mit einem Streichholz an, sondern mit einer Opferkerze. Das Feuer einer Lampade gilt als geheiligt - man soll es deshalb nicht zu profanen Zwecken benutzen.Der hl. Seraphim von Sarov nutzte das geheiligte Öl aus der Lampade, um Hilfesuchende damit zu salben. Wie alle geheiligten, also Gott geweihten Dinge ist das Öl aus der Lampade ein Träger und somit Vermittler des Göttlichen Segens.
Auch im orthodoxen Haus salben sich die Gläubigen mit Gebet mit dem geheiligten Öl aus der Lampade, im festen Glauben, dass das heilige Salböl die Gnade Gottes in sich trägt.
 
Auf dem Altartisch in der Kirche brennt ebenfalls ununterbrochen eine nie verlöschende Lampade vor dem Artophorion, in dem die Heiligen Gaben für die Krankenkommunion aufbewahrt werden.
Viele Gläubige lassen Lampaden in ihren Häusern  ununterbrochen vor den hl. Ikonen brennen, um damit die Göttliche Gegenwart, die von den heiligen Ikonen als Fenster zum Himmel ausgeht, anzuzeigen. Aber wie vieles andere an frommen Bräuchen ist die Tradition nicht verpflichtend.
Eine vor den heiligen Ikonen brennende Lampade hat mehrere symbolische Bedeutungen:
• 𝐃𝐚𝐬 𝐋𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐝𝐞𝐫 𝐖𝐚𝐡𝐫𝐡𝐞𝐢𝐭 𝐝𝐞𝐬 𝐄𝐯𝐚𝐧𝐠𝐞𝐥𝐢𝐮𝐦𝐬, das die Kirche in die Welt bringt und das nicht durch die Dunkelheit der Lüge und des Unglaubens ausgelöscht werden kann („Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Johannes 1:5)
• 𝐃𝐚𝐬 𝐮𝐧𝐠𝐞𝐬𝐜𝐡𝐚𝐟𝐟𝐞𝐧𝐞 𝐋𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐝𝐞𝐫 𝐠ö𝐭𝐭𝐥𝐢𝐜𝐡𝐞𝐧 𝐆𝐧𝐚𝐝𝐞, das sich über eine Seele ergießt, die sich von Sünde gereinigt hat.
• 𝐃𝐢𝐞 𝐖ä𝐫𝐦𝐞 𝐮𝐧𝐝 𝐝𝐚𝐬 𝐋𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐝𝐞𝐫 𝐠𝐥ä𝐮𝐛𝐢𝐠𝐞𝐧 𝐒𝐞𝐞𝐥𝐞, in der die Flamme des Gebets brennt.
Wie bereits erwähnt, sin Lampaden sind ein bedeutender Bestandteil der orthodoxen Ausschückung der Kirchen. Es ist ebenfalls üblich, die farbigen Gläser entsprechend der jeweiligen Periode im Kirchenjahres auszuwechseln: in der Osterzeit zum Beispiel verwendet man rote, in der Fastenzeit hingegen  dunkelblaue oder lila Glaseinsätze.
Quelle: Kloster der hl. Elisabeth in Minsk

 Die geistliche Bedeutung der Opferkerzen und Lampaden
in der
orthodoxen Kirche

 

 

Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der
Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben.

Johannes 8:12

 

Die Opferkerze ist ein dünner Wachsstab mit einem Docht in der Mitte. Gemäß der Tradition wird für ihre Herstellung reines Bienenwachs verwendet. Die Opferkerze, auch Votivkerze genannt, wird als sichtbares Zeichen unseres Gebets, oft verbunden mit einer besonderen Bitte oder Anliegen des Beters aufgestellt.

 

Beim Betreten einer orthodoxen Kirche ist es üblich, Kerzen anzuzünden und Gebete für die eigenen Bedürfnisse oder die eines Familienmitglieds oder Freundes zu sprechen.

 

Zunächst einmal aber ist die Opferkerze ein symbolisches Glaubensbekenntnis, derer Entzündung sich als Mahnung an uns selbst richtet: In der Heiligen Schrift sagte uns unser Herr und Erlöser Jesus Christus: „Ich bin das Licht der Welt“ (Johannes 8:12). Die Opferkerze gemahnt uns Menschen, dass wir ohne Jesus Christus in Dunkelheit und Sündenverderbnis leben müssen. Jesus Christus (der Eingeborene Sohn des Vaters und das Licht des Lebendigen Gottes in der Welt) kam in die Welt, um am Kreuz zu sterben und uns von unseren Sünden zu erretten.

 

Deshalb war in Byzanz der Nartex, also die Vorhalle der Kirche, der zugleich der Ort der Büßer und Katechumenen während der Liturgiefeier war, der Ort, wo die Gläubigen ihre Opferkerzen aufstellten. In vielen griechischen Kirche ist es immer noch ein Kerzenständer vor oder am Eingang der Kirche, wo die Gläubigen vor allem ihre Opferkerzen aufstellen.

 

Aber neben den Anzünden der Opferkerzen im Nartex, werden wir feststellen, dass Kerzen und Lampaden an vielen anderen Stellen in der Kirche verwendet werden. Dazu gehören Orte im und in der Nähe des Altars, die ikonenpulte im Kirchenschiff, während der Taufe und der Feier der anderen Mysterien, zu bestimmten Stellen im Gottesdienst, wo die Gläubigen dann Kerzen in den Händen halten und ebenfalls vor den Ikonen in der Schönen Ecke in einem orthodoxen Haus. Egal wo die Lampaden oder Kerzen brennen symbolisieren sie immer das Licht Christi oder das Licht Gottes.

 

Kerzen werden vor der heiligen Ikonen als Zeichen des Glaubens und der Hoffnung auf Gottes Hilfe aufgestellt. So ist die Opferung einer kleinen, dünnen Wachskerze ein Zeichen der Glaubens, dass Gottes Barmherzigkeit und Hilfe immer alle jenen zugewandt sein wird, die sich mit Glauben und Gebeten an IHN und die Fürsprache seiner Heiligen wenden.

 

Das brennende Licht der Opferkerze symbolisiert die Herrlichkeit Gottes, an den sich die Bitte (das Gebet) der Gläubigen richtet, und zugleich sichtbarer Ausdruck der Verehrung, des Dankes und der (Für-)Bitte, die zu IHM aufsteigen. Die Opferkerze gibt dem Gebet, über die Zeit der Anwesenheit des Beters hinaus, für ihn selbst und andere eine sichtbar wahrnehmbare Gestalt.


Als vergängliche Votivgabe steht die Opferkerze ebenfalls symbolisch
für den geistlichen Mitvollzug der Selbsthingabe Jesu Christis (Kenosis).

 

Die Votivkerze kann aber nicht nur eine Bitte ausdrücken, sondern ebenfalls ein Zeichen des Dankes an Gott für Seine Wohltaten sein.

 

Auch vor den Ikonen der Heiligen stellen wir Opferkerzen auf, zum Zeichen des Dankes für ihre Fürsprache bei Gott und ihre Hilfe. So kann die Opferkerze wie ein Blumengabe Ausdruck unseres Dankes sein, dass sich etwas erfüllt hat, um das der Beter gebetet hat.


Historisch reicht der Brauch der Opferkerzen bis in jüdische und
frühchristliche Zeit zurück. Bereits im Vorhof des Jerusalem Tempels wurden Opferkerzen als Bitte- und Dankopfer von den Gläubigen aufgestellt.

 

In der Praxis machen die Gläubigen mit dem Erwerb der Opferkerze ebenfalls eine kleine Opfergabe an die Kirche. Indem man eine Kerze anzündet und ein Gebet spricht, tritt man in engeren Kontakt mit der Kirche und ihrem Dienst an den Gläubigen und wärmt die Seele unsichtbar durch das sichtbare Licht der Kerze.

 

12 Gründe, warum orthodoxe Christen in der Kirche Kerzen anzünden

 

Nachfolgend sind zwölf symbolische Gründe aufgeführt, warum wir orthodoxen Christen Opferkerzen in der Kirche entzünden.

 

Sechs Gründe stammen aus den Schriften des heiligen Symeon vonThessaloniki und sechs vom Nikodemos dem Athoniten.


Der hl. Symeon nennt uns folgen
de Symboliken der orthodoxen Opferkerze:


1. Die Kerze symbolisiert die Reinheit der Seele, denn sie besteht
ausschließlich aus reinem Bienenwachs.

 

2. Da wir leicht alles in das Wachs der Kerze einprägen können, symbolisiert die Kerze, wie leicht unsere Seele von guten aber auch schlimmen, ja bösen Gewohnheiten geprägt werden kann.


3. Die Opferkerze symbolisiert ebenfalls die Gottliche Gnade, da die
Bienen das Wachs aus blühenden Blumen hergestellen. Genau wie die Blumen ihren Duft verströmen, so soll die vergöttlichenden Wirkungen der Göttlichen Gnade auch unsere Seelen mit Heiligkeit und allen guten Dingen zu einem geistlichen Wohlgeruch werden lassen, der mit Wohlgefälligkeit zum Throne Gottes emporsteigt.


4.: Außerdem stellt uns die Opferkerze die Ver
göttlichung, die wir anstreben müssen, vor unsere geistlichen Augen, denn die Kerze (wir, unsere menschliche Natur) ist mit Feuer der Flamme (Symbol für Christus) vermischt. Die Kerzenflamme stellt also das Licht Christi dar, denn wenn es brennt, erleuchtet und erhellt es die Dunkelheit. So wie die Kerze der Flamme Nahrung gibt, so wird durch Theosis (gnadenhafte Vergöttlichung) unsere menschliche Natur zu einer Flamme gemacht, die die Sünden in uns verbrennt und zu geistlichen Lichtspendern werden lassen ( Anmerkung: das Lichtwunder der Hl. Seraphim von Sarow mit seinem geistlichen Schüler Nicholaj Motovilov).


5. Das Licht der Opferkerzen und der Lampaden (Ewiglichter)
symbolisiert das Licht Christi, das Licht in die Dunkelheit bringt. (Johannes 8:12)


6: Die die Flamme der Opferkerze symbolisiert das Licht und den
Frieden, die jeder Christ in sich haben sollte. Wenn die Opferkerzen und Lampaden brennen, erleuchten und trösten sie die Gläubigen und spendet Licht in der Dunkelheit dieser Welt.

 

Unser heiliger Vater Nikodemos vom Heiligen Berg Athos gibt uns diese symbolischen sechs Erklärungen:


1. Wir zünden Opferkerzen zur Ehre Gottes an, der das wahre und

einzige Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet (
Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben (Johannes 8: 12).


2. Wir zünden Opferkerzen an, um die Dunkelheit der Nacht zu
zerstreuen und uns von der Angst vor der Dunkelheit zu trösten.


3. Wir zünden Opferkerzen an,
um die geistliche Freude zu zeigen, die in unseren Herzen gegenwärtig ist.


4.: Wir zünden Opferkerzen an, um die Heiligen und Märtyrer unseres
Glaubens zu ehren, so wie frühe Christen Votivkerzen an den Gräbern der heiligen Märtyrer entzündet haben.

 

5. Wir zünden Opferkerzen an, um unsere guten Werke zu
symbolisieren, wie der Herr sagt: So lass dein Licht leuchten vor den
Menschen, damit sie deine guten Werke sehen und deinem Vater, der inden Himmeln ist, die Ehre geben (Matthäus 5: 16).


6. Wir zünden Opf
erkerzen mit der Bitte um die Vergebung unserer
Sünden an, sowohl für diejenigen, die die Kerzen anzünden, als auch für
diejenigen, für die die Kerzen angezündet werden. Aus diesem Grund gibt es in orthodoxen Kirchen getrennte Kerzenständer für die Fürbitte für die Lebenden und andere für die der Toten.


 

Das Glockenläuten in der orthodoxen

russisch-slawischen Tradition

 

 

Das Glockenläuten in der orthodoxen russisch-slawischen Tradition hat eine lange Geschichte, die bereits mit der Christianisierung der Rus im Jahr 988 beginnt. Dabei ist das Läuten der Glocken in Russland nicht beliebig, sondern folgt klar festgelegten Abläufen und Klangregeln.

 

Das Glockenläuten ist in der orthodox-slawischen Tradition ein Glockenanschlagen: Die feststehend verankerten Glocken werden mit beweglichen Klöppeln angeschlagen und so zum Klingen gebracht. Deshalb erfolgt das orthodoxe Glockenläuten eher wie das Spielen eines westlichen Carillon, also in der Art eines harmonisch aufeinander abgestimmten Glockenspiels. Beim Glockenläuten in den Kirchen des Westens schwingen jedoch die einzelnen Glocken und ihre Klöppel wie ein Pendel und bilden dabei einen, durch die Tonstimmung der Einzelglocke abgestimmten Gesamtakkord.

 

Im Osten wie im Westen sind die Stimmen der Glocken eine musikalische Verkündigung des christlichen Glaubens. So erinnet sich der russische Schriftsteller Iwan Schmeljow in seinem autobiographischen Roman "Wanja im heiligen Moskau. Roman einer Jugend", der die kirchliche Leben im vorrevolutionären Moskau beschreibt, an die besondere Festtags - oder Abendstimmung, die die Stimmen der unzähligen Moskauer Geläute in seinem Herzen erzeugt haben.

 

Nach orthodoxem Verständnis ist das kirchliche Glockengeläut ein unverzichtbarer Bestandteil des christlich-orthodoxen Gottesdienstes. Die Glocken sind Stimmen einer himmlischen Welt, ja ein Gebet ohne Worte. Deshalb beginnt derjenige, der die Glocken läutet, die auch mit einem Kreuzzeichen. Die Kunst des Läutens wurde traditionell mündlich überliefert,. Erst im 19. und 20. Jahrhundert wurde es erstmals verschriftlicht.

 

Es gibt in der russisch-slawischen Tradition mehrere Arten für die Abfolge eines Glockenläutens:


Beim BLAGOWEST (
Благовест) zu deutsch: Verkündigung werden mehrere Glocken abwechselnd geläutet. Dieses Geläut ertönt, um die Gemeinde in die Kirche zum Gebet und Gottesdienst zu rufen und auch um damit anzukündigen, dass der Gottesdienst begonnen hat. Dem Verkündigungsgeläut gehen drei langsame, bis zum Verklingen des Tons reichende Schläge auf der größten Glocke voraus, gefolgt von verschiedenen ruhigen, gemessenen Schlägen.

Beim TRESWON (
Трезвон) werden mehrere Glocken gleichzeitig angeschlagen. Die Gläubigen werden dadurch über den Beginn der Göttlichen Liturgie oder der Nachwache informiert.

Beim PERESWON (
Перезвон) werden die Glocken beginnend mit der größten und endend mit der kleinsten Glocke geläutet. Dieses Geläut ist dem Freitag und Samstag in der Karwoche vorbehalten. Aber eine verkürzte Version des Pereswon wird an anderen kirchlichen Feiertagen verwendet.

Beim PEREBOR (
Перебор) handelt es sich um ein sehr gedehntes und langsames Läuten der Glocken. Die Glocken werden eine nach der anderen zum Erklingen gebracht, beginnend mit der kleinsten und endend mit der größten Glocke. Dieses Geläut verkündet den Heimgang eine christlichen Seele zu Gott und fordert die Gläubigen zur Fürbitte für den Entschlafenen auf. Das Peresbor ertönt beim Heraustragen des Sarges aus der Kirche und dem Gang zum Friedhof im

im Ritus der Beerdigung. Nach dem Anschlagen der großen Glocke werden dann alle Glocken auf einmal angeschlagen werden – und die Tonfolge beginnt erneut. Der Perebor endet oft mit einem Glockenspiel als Klangsymbol für die Auferstehung und den Übergang des Verstorbenen in die himmlische Welt.